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Mehl ist nicht gleich Mehl

Der «feine» Unterschied

Pro Jahr werden in der Schweiz rund 370 000 Tonnen Mehl verarbeitet, davon rund zwei Drittel zu Brot. Doch bevor es soweit ist, durchläuft der Rohstoff mehrere Arbeitsschritte und wird ganz unterschiedlichen Qualitätsprüfungen unterzogen. Denn wie beim Menschen zählen auch hier die «inneren Werte».

Marlies Keck

Mehl ist einer der faszinierendsten Rohstoffe überhaupt. Es braucht nämlich nur Wasser, Hefe und Salz, etwas Zeit und Hitze, um aus dem «unscheinbaren Pulver» ein frisches, duftendes Brot zu machen. Und doch: Mehl ist nicht gleich Mehl. Und zwar nicht nur wegen unterschiedlicher Getreidesorten oder Ausmahlungsgrade. Als Produkt der Landwirtschaft unterliegen die Inhaltsstoffe natürlichen Schwankungen, die u.a. von der Sorte, den Umweltbedingungen, dem Klima und der Bodenbeschaffenheit abhängen. Entsprechend wichtig sind laufende Qualitätskontrollen – und zwar über alle Verarbeitungsstufen hinweg.


Die Eignung von Getreide für die Brotherstellung wird u.a. von klimatischen Faktoren, Boden- und Sorteneigenschaften sowie Wachstums- und Reifebedingungen bestimmt. © Schweizer Brot

Qualität und Eignung des Korns

Bei Anlieferung der Ernte bei einer Sammelstelle oder Mühle werden erst einmal Stichproben gezogen und die wichtigsten Qualitäts-Kenngrössen bestimmt. Diese so genannten Übernahmebedingungen werden jährlich von der Branchenorganisation swiss granum festgelegt. Beim Brotgetreide stehen insbesondere die teigphysikalischen Eigenschaften im Vordergrund, weshalb ein Teil der Stichprobe gleich auch in einem Labor analysiert wird.

Gemessen werden:

  • Feuchtigkeitsgehalt

    Bei der Übernahme von Brotgetreide gilt in der Schweiz ein maximaler Feuchtigkeitsgehalt von 14,5%. Liegt der Wert darüber, besteht das Risiko des Verderbens bei der Lagerung im Silo. Wird zu feuchtes Getreide aber dennoch angenommen, muss es allerdings vor der Einlagerung mit Hilfe von warmer Luft so lange getrocknet werden, bis die Werte stimmen.

  • Proteingehalt

    Der Eiweissgehalt der Getreidekörner ist wichtig für die Backeigenschaften des Mehls. Um den Bäckern also Mehl mit guten Backeigenschaften liefern zu können, ist der Proteingehalt von entscheidender Bedeutung und somit ein zentrales Qualitätsmerkmal. Der angestrebte Proteingehalt ist je nach Getreideart unterschiedlich. Beim Brotweizen werden die Sorten anhand dieses Wertes zusätzlich in Qualitätsklassen (TOP, Klasse I, Klasse II, Biscuit- und Futterweizen) eingeteilt.

  • Enzymaktivität

    Die Enzymaktivität wird mittels Fallzahl und Amylogramm ermittelt. Ist die Enzymaktivität zu hoch oder auch zu niedrig, werden die Backeigenschaften des Mehls negativ beeinflusst. Wenn das Wetter vor der Getreideernte zu nass ist, kann das Getreide auswachsen. Das bedeutet, dass das Getreidekorn auf der Ähre zu keimen beginnt. Dadurch verringert sich die Enzymaktivität und das Getreide eignet sich nicht mehr für die Brotherstellung.

  • Verunreinigungen

    Über eine Laborsiebmaschine wird das angelieferte Getreide auf dessen Kleinkorngehalt und Verunreinigungen wie etwa Steine, Strohteile oder Fremdkörner überprüft. Für einzelne dieser Verunreinigungen bestehen Grenzwerte oder Toleranzwerte.


Getreide- und Mehlanalytik sind unverzichtbare Bestandteile bei der Qualitätseinstufung von Brotgetreide. © Schweizer Brot

Reinigung und Vorbereitung

Nur wenn Enzymaktivität und Proteingehalt des angelieferten Getreides im Rahmen der Richtwerte liegen, kann der Müller für die Bäcker über das Jahr hinweg Mehl von gleichbleibender Qualität und damit auch mit konstanten Backeigenschaften produzieren. Stimmen also die Werte, wird das Getreide abgeladen und mehrmals gereinigt, entstaubt und gesiebt. Vielfach kommt zudem ein Farbausleser mit Fotozellen zum Einsatz, der nach fehlerhaften Körnern sucht und diese per Druckluftstoss gezielt aus dem vorbeiströmenden Getreide entfernt. Erst nach dem abschliessenden Scheuer- und Bürstvorgang sind alle Fremdbestandteile säuberlich vom Mahlgetreide getrennt. Bevor es nun aber mit dem Mahlen losgehen kann, braucht das Korn eine gewisse Feuchtigkeit. Dies, damit sich die spröde Schale (die Kleie) besser vom Getreideinneren, dem Mehlkern, trennen lässt. Beim so genannten «Netzen» besprüht der Müller also das Korn mit einer genau dosierten Menge Wasser und lässt es in den Abstehzellen über mehrere Stunden einwirken. Sobald sich die richtige Feuchtigkeit zwischen Schale und Mehlkern eingestellt hat, kann der eigentliche Mahlvorgang beginnen.


Beim Getreidekorn unterscheidet man drei Hauptbestandteile: 1) Schale (auch Kleie genannt), 2) Mehlkörper oder Mehlkern, 3) Keimling © Schweizer Brot


Ein Ausmahlungsgrad von 30-85% (Weizenmehl 1100) besagt, dass die äussersten 15% des Korns bei der Vermahlung aussortiert und dem Mehl 30% Weizenmehl Typ 400 entzogen wurde. Diese Einteilung ist von Land zu Land unterschiedlich. © Richemont Fachschule

Mahlvorgang und Nebenprodukte

Das so vorbereitete Korn wird auf den Walzenstühlen zunächst vorsichtig aufgebrochen und anschliessend stufenweise zerkleinert. Zwischen den einzelnen Mahlpassagen wird das Mehl im Plansichter – einem schrankgrossen, freischwingenden Kasten, in dem sich rund 80 Siebe mit unterschiedlicher Maschengrösse befinden – gesichtet und sortiert. Das Prinzip ist einfach: Was durch das Sieb fällt, ist Mehl. Was nicht durchfällt, geht zum nächsten Walzenstuhl und wird wieder gemahlen und dann wieder gesiebt. So wird nach jedem Mahlvorgang das Mahlgut nach Teilchengrösse in unterschiedlich feine Zwischenprodukte (wie Schrot, Griess, Dunst und Mehl) getrennt. Mahlen und Sieben können sich so bis zu 14 Mal wiederholen resp. so oft, bis den Schalen kein Teil des von Natur aus hellen Mehlkerns mehr anhaftet. Die verbleibenden Teile wie Kleie und Bollmehl sind so genannte Mühlenachprodukte und werden zur Herstellung Tierfuttermittel verwendet. In der Produktion von Mehl und Brot entsteht darum praktisch kein Abfall.

1) Aus Schrot gebackene Brote haben einen kernigen Biss und schmecken nach «Korn».2) Griess ist sehr quellfähig und wird für Suppen und Brei verwendet.3) Dunst kommt bei Bäckern für die Herstellung feinster Hefegebäcke zum Zug.4) Mehl ist die feinste Mahlstufe und wir zu Brot und feinsten Gebäcken verarbeitet.Aus Mühlenachprodukten wie Kleie oder Bollmehl wird Tierfuttermittel hergestellt.


Die Feinheit des Mehles wird nicht durch das Mahlen bestimmt, sondern hängt von der Maschengrösse der eingelegten Siebe im Plansichter ab. © Marco Berwert

Lagerung und Transport

Vor dem Einlagern ins Mehlsilo wird noch einmal die Qualität kontrolliert. Bei Typenmehlen wird der korrekte Mineralstoffgehalt durch Verbrennen einer Mehlprobe bestimmt. Zudem überprüft meist noch eine Versuchsbäckerei der Mühle, ob die vom Abnehmer gewünschten Produkteigenschaften vorhanden sind. Das mehrstufige Verfahren zeigt: Die moderne Müllerei ist sehr viel effektiver und schonender, als die Zerkleinerung in nur einem Durchgang (wie beispielsweise mit einer Haushaltsmühle) sein kann. Und: Nur mit solchen Mahlverfahren können gute Backeigenschaften des Getreides optimal herausgearbeitet werden – zumal auch wertvolle Vitamine erhalten bleiben. Und ein weiterer Punkt spricht für Mehl aus Schweizer Mühlen: Als geruchsensibles und schädlingsanfälliges Gut wird das Mehl in Silos zwischengelagert und erst bei Bedarf in Säcke abgepackt oder lose in Silofahrzeugen ausgeliefert. Die kurzen Transportwege in der Schweiz wirken sich umweltschonend aus. Umso mehr, als ein grosser Anteil des Schweizer Getreides per Eisenbahn in die Mühlen gelangt. Wer also Produkte aus der Nähe konsumiert, verhält sich nachhaltig, trägt zu einer intakten Umwelt bei und profitiert von gehaltvollen Qualitätsprodukten.


Der Weg vom Korn zum Mehl: Zahlreiche Verarbeitungs- und Verfahrensstufen garantieren gleichbleibende Qualität und damit auch konstante Backeigenschaften. © Schweizer Brot