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Appenzeller Backtradition

Weihnachtsbäckerei Böhli präsentiert ihre Bröötis: Gebildbrote und Tafel Vögel

Traditionell, kunstvoll und voller Hingabe: Alfred Sutter führt gemeinsam mit seinem Bruder Markus die Bäckerei Böhli, die auf das Jahr 1871 zurückgeht und eng mit der Backkultur des Appenzellerlands verbunden ist. Auf den Spuren von Philebrot, «Tafle Zöpf», «Tafle Vögel» und Philering – und mehr.

Marlies Keck

Alfred Sutter kennt die Welt der Backstube seit frühester Kindheit. Er wuchs – gemeinsam mit seinem Bruder Markus – in der Bäckerei auf, die schon seit Generationen im Besitz seiner Familie ist. «Unten war die Backstube, oben unsere Wohnräume», erinnert sich Sutter. «Wir sind buchstäblich in diesen Beruf und in die Traditionen hineingewachsen.» Eine seiner lebhaftesten Kindheitserinnerungen ist das alljährliche Bringen des Phileringes an Weihnachten ins Frauenkloster. «Der Ring war so gross, dass ich mich hineinsetzen konnte», erzählt er mit einem Lächeln. Diese Erinnerungen, die engen Verbindungen zur Familie und zur Region prägen die beiden Brüder bis heute und motivieren sie, die Tradition der Gebildbrote weiterzuführen.

Böhli Bäckerei Geschäft von aussen
Im ehemaligen Elternhaus der Familie befinden sich heute neben dem Hauptgeschäft auch Büros und die Konditorei-Produktion. © boehli-appenzell.ch

Der Name Böhli

Die Bäckerei Böhli ist eine echte Appenzeller Institution und geht auf das Jahr 1871 zurück. Damals eröffnete Johann Baptist Sutter im Gebiet Rapisau eine Bäckerei. Seit den 1940er-Jahren ist das Familienunternehmen im Dorf Appenzell beheimatet und von Generation zu Generation gewachsen. Die fünfte Generation bilden die Brüder Alfred und Markus Sutter. Gemeinsam haben sie den Betrieb 2004 übernommen. Alfred Sutter erzählt: «Wir haben den Betrieb weiter professionalisiert, in die Infrastruktur investiert und unser Filialnetz ausgebaut. Heute zählen wir sechs Verkaufsstellen und zwei Produktionsstätten.» Gleichzeitig betreibt die Böhli AG an den Standorten Gais, Speicher und Teufen je ein Café. Und wieso der Name «Böhli»? Alfred Sutter schmunzelt: «Das ist unser Familien-Spitzname. Wir wurden schon als kleine Buben auf der Strasse die Jungen vom ‚Beck Böhli‘ genannt», erzählt Alfred Sutter. Was für Aussenstehende also vielleicht ungewöhnlich wirken mag, war für die Sutters ein logischer Schritt nach der Übernahme – schliesslich war der Name «Böhli» in der Region längst ein Synonym für die Familie und ihre Backkunst geworden.

Alfred und Markus
Alfred und Markus Sutter vor dem Herzstück der Bäckerei Böhli in Appenzell.

Glück im Unglück

Leider gab es 2024 auch einen Rückschlag. Ein Brand zerstörte eine der Produktionsstätten der Bäckerei. Aber dank viel Solidarität und Unterstützung von umliegenden Bäckereien und der schnellen Verfügbarkeit von Räumlichkeiten direkt im Ort, konnte der Betrieb fast nahtlos weitergehen. «Wir hatten maximales Glück im Unglück», sagt Alfred Sutter. «Vor allem auch für unsere Mitarbeitenden, die sich so nicht um ihre Arbeitsstelle sorgen mussten.» Die Bäckerei ist damit nicht nur für ihre feinen Köstlichkeiten bekannt, sondern auch für ihre Widerstandskraft und das Engagement der Menschen dahinter. Alle halfen mit, auch jene, die sonst nicht in der Produktion arbeiten.

Zopf machen
Trotz Ähnlichkeit mit einem Zopf, bestehen weder «Tafle-Vögel» noch Philebrot aus einem Butter-, sondern aus einem Milchteig, dem ein wenig Pflanzenfett beigegeben wird. © Verein Schweizer Brot

Bröötis: Eine Tradition mit Herz

Die sogenannten «Bröötis», ein Appenzeller Mundartausdruck für Brotiges, sind vier verschiedene Gebildbrote, die alle aus dem gleichen milchhaltigen Zopfteig bestehen. Es handelt sich dabei um den «Philering», das «Philebrot», die «Tafle Vögel» und die «Tafle Zöpf». Sie alle werden in der Bäckerei Böhli gebacken und für viele Menschen im Appenzellerland sind sie untrennbar mit Weihnacht verbunden. Über den gesamten Advent hinweg bis Anfang Januar werden «Tafle Vögel & Zöpf» produziert und verkauft; um die Weihnachtszeit bis zum Altjahrabend schmücken die kunstvoll geflochtenen Philebrote oder Phileringe die Tische und erfreuen Gross und Klein. Jedes dieser Gebildbrote ist ein Einzelstück, von Hand gefertigt und mit viel Liebe zum Detail gestaltet. «Der Philering ist ein vierteilighoch geflochtener Zopf in Ringform», erklärt Alfred Sutter. «Das Philebrot besteht aus einem runden Aussenring, einem vierteilig geflochtenen Flachzopf, der in die Mitte gelegt wird, und sechs Teigstücken in geschwungener S-Form in den Zwischenräumen.» Obwohl die Muster klar vorgegeben sind, trägt jedes Gebildbrot eine individuelle Handschrift. «Mein Philebrot sieht anders aus als das von meinem Bruder, auch wenn wir es beide von unserem Vater gelernt haben.»

Philebrot Herstellung
Philebrot
Die Herkunft des Namens Philebrot ist unklar. Vielleicht kommt er vom griechischen «philos», dann wäre es ein «Liebesbrot». Es könnte aber auch vom «Feilbäcker» abgeleitet sein oder als Anlehnung an «Filigran» – für kunstvoll geflochtene Brote. © Verein Schweizer Brot

«Tafle Vögel» und «Tafle Zöpf»

Die «Tafle Vögel» und die «Tafle Zöpf» gehören ebenfalls zu den traditionellen Bröötis zur Weihnachtszeit. Sie bestehen aus demselben milchhaltigen Zopfteig wie die anderen Gebildbrote und symbolisieren die tiefe Verbindung zu regionalen Bräuchen und festlichen Anlässen. Die «Tafle Vögel», oft als Glücksbringer betrachtet, sind besonders bei Kindern beliebt. «Die Vögel sind aus einem Teigstrang geflochten, haben einen langen Rumpf und einen kleinen Kopf mit Augen aus Wachholderbeeren. Je vier Vögel werden zusammen gebacken und bilden so eine quadratische Fläche, die umgangssprachlich «Tafle», also Tafel genannt wird. Nach dem gleichen Prinzip funktionieren die «Tafle Zöpf»: Je vier dreisträngige, kleine Zöpfe ergeben eine quadratische Tafel von Zöpfen. «Die Flechtung ist klassisch, aber dennoch anspruchsvoll», erklärt Sutter. «Besonders bei den «Tafle Zöpf» ist die Gleichmässigkeit entscheidend.» Hier zeigt sich: Jedes Stück wird mit Hingabe gefertigt, damit es sowohl ästhetisch als auch geschmacklich ein Highlight darstellt. Übrigens: Trotz Ähnlichkeit mit einem normalen Zopf, bestehen weder «Tafle Vögel» noch Philebrot aus einem Butter-, sondern aus einem Milchteig, dem ein wenig Pflanzenfett beigegeben wird. «In den alten Zeiten war Butter einfach zu teuer» erklärt Alfred Sutter den Hintergrund.

Je vier Vögel werden zusammen gebacken und bilden so eine quadratische Fläche, die umgangssprachlich «Tafle», also Tafel genannt wird. © Verein Schweizer Brot

Handwerk und moderne Herausforderungen

Die Mischung aus traditionellem Handwerk und modernen Anforderungen ist eine der grössten Herausforderungen, der sich die Bäckerei Böhli heute gegenübersieht. «Früher hat niemand am Sonntag gebacken», erinnert sich Sutter. «Heute haben vier unserer sechs Filialen auch am Sonntag geöffnet.» Die Erwartungshaltung der Kundschaft habe sich verändert: Flexibilität und Vielfalt im Sortiment seien gefragt. Auch das Einkaufsverhalten habe sich verändert. «Als ich Kind war, standen die Leute noch vor dem Ladeneingang an, um die vorbestellten Gebildbrote abzuholen», erzählt Alfred Sutter. «Sie haben sich vor Weihnachten kiloweise mit Brot eingedeckt, da ja über die Festtage alle Läden geschlossen waren. Aber die Mengen, die sie mit nach Hause nahmen, waren beeindruckend riesig – so etwas kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.» Er erinnert sich mit einem Schmunzeln: «Wir haben alle ungläubig geschaut und uns gefragt: Haben die solche Angst, in den nächsten Tagen nichts mehr zu essen zu haben? Natürlich waren damals auch die Familien grösser, aber diese Massen an Menschen und die Mengen an Brot werde ich nie vergessen.» Vielleicht sei auch dies ein Grund dafür, dass die Tradition der Gebildbrote etwas verloren gegangen ist. «Es gibt Kunden, die bei uns im Laden ein Philebrot sehen und nichts damit anfangen können», erzählt Alfred Sutter. «Sie finden die Gebildbrote schön – zu schön, um sie zu essen. Ähnlich wie bei den kunstvoll verzierten Chlausebickli beim Chlausezüüg auch.»

Appenzeller Dinkel, Emmer und Bergroggen – angebaut von Landwirten des Appenzellerlandes auf 650–1’100 m ü. M., verarbeitet in der Bruggmühle Goldach, zu bestem Mehl.

Alte und neue Traditionen

Die Brüder Markus und Alfred Sutter pflegen aber nicht nur alte Traditionen. Sie wagen auch Neues aus und sorgen so für eigene Traditionen. Der Fokus auf regionale Getreidesorten wie Dinkel, Emmer und Bergroggen gehört hier dazu. «Wir waren eine der ersten Bäckereien in der Region, die auf «eigenen» Dinkel setzten», sagt Alfred Sutter. «Es war ungefähr vor zehn Jahren. Da fuhren mein Bruder und ich mit dem Auto an einem Maisfeld vorbei. Das war neu für unsere Gegend – und da haben wir uns überlegt, ob dieser Landwirt evtl. auch Dinkel anbauen würde. Und voilà – es hat geklappt. Damals hatten wir noch keine Ahnung, was das genau bedeutet – mit der Fruchtfolge etc. Mittlerweile haben wir die IG Ackerbau Appenzellerland gegründet und die Marke Appenzeller Dinkel® geschaffen. Jedes Jahr bauen die rund 10 IG-Mitglieder nach unserem Plan das Getreide an, also Dinkel, Emmer und Bergroggen. Und wir garantieren ihnen, dass wir ihnen das Brotgetreide zum garantierten Preis abnehmen.» Die Kundschaft freuts und das Geschäft mit den Urkorn-Broten hat sich etabliert. Ob sich daraus tatsächlich eine Tradition entwickelt? «Wer weiss», lächelt Alfred Sutter. «Wichtig ist, dass die Leute Freude an unseren Produkten haben – genauso wie wir.»

Externes Bild
Bäckerei Böhli

Seit 2004 führen Alfred und Markus Sutter die Bäckerei Böhli in Appenzell, ein Familienbetrieb in fünfter Generation. Nun hat sich Markus dazu entschieden, neue berufliche Wege zu gehen und seine Anteile an Alfred zu veräussern. Damit bleibt die Bäckerei in Familienbesitz und wird künftig von Alfred und seiner Frau Heidi geführt. Sie werden den Betrieb weiterentwickeln und die bewährte Verbindung von Tradition und Moderne fortsetzen. Spezialitäten wie der Philebrot, Philering, «Tafle Vögel» und «Tafle Zöpf» werden wo immer möglich aus regionalen Zutaten und nach traditionellen, überlieferten Rezepten hergestellt – immer mit einem Auge fürs Detail und viel Liebe zum Handwerk. Die Böhli AG betreibt sechs Verkaufsstellen und beschäftigt rund 110 Mitarbeitende. Weitere Informationen unter: www.boehli-appenzell.ch