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Im Takt des Sauerteigs

Von der Pianistin zur Bäckerin

Erst spielte sie Klavier, dann spielte das Leben verrückt: Während der Pandemie entdeckte Bojana die Magie von Sauerteig – und gründete ihre Micro-Bäckerei. Im Le Bread vereint sie heute Musikalität und Handwerk zu einer Brotkunst, die Menschen begeistert – auch über Workshops.

Marlies Keck

2020, Lockdown, stillgelegte Konzertsäle. Bojana Antovic, Pianistin und Klavierpädagogin, hatte plötzlich Zeit. Statt Bach und Beethoven standen Sauerteig und Backofen im Mittelpunkt. «Ich wollte nur für mich backen», erzählt sie. Doch schon bald klopften die Nachbar:innen an die Tür, brachten Mehl vorbei — und nahmen Sauerteigbrote mit.

Aus der Corona-Beschäftigung wurde Ernst: Heute führt Bojana gemeinsam mit ihrem Parnter Julien Paillard und 18 Mitarbeitenden die Mikrobäckerei Le Bread in Bern. Und sie gibt weiter, was sie sich selbst beigebracht hat – in Workshops, die regelmässig ausgebucht sind.

Bojana erklärt
Mitreissend und nahbar – Bojana erklärt, zeigt vor und hört zu.

Sauerteig mit Seele

13.45 Uhr, Belpstrasse 53. Hier, wo Bojana früher ihr «Brotfenster» hatte, bevor die Bäckerei mit Café an der Belpstrasse 28 eröffnete, finden heute ihre Workshops statt. Acht Teilnehmende versammeln sich um den grossen Arbeitstisch. Bojana begrüsst jeden persönlich, ihre Energie ist sofort spürbar.

«Sauerteig ist ein Mikrokosmos», beginnt sie und zeigt auf ein Gefäss mit blubbernder Masse. «Millionen von Hefezellen und Bakterien arbeiten hier zusammen.» Was in anderen Händen trockene Theorie wäre, wird bei Bojana lebendig. Sie erklärt die Fermentation, als würde sie eine Melodie beschreiben: «Die Milchsäurebakterien sorgen für die Säure, die Hefen für die Lockerung – wie verschiedene Instrumente im Orchester.»

Dann wird es praktisch: Die Autolyse. Gemeinsam rühren alle das Mehl, Wasser und Sauerteig zusammen. «In dieser Zeit aktivieren sich die Enzyme», erklärt Bojana, während ihre Hände den Teig sanft behandeln. «Wir begleiten diesen Prozess, wir beherrschen ihn nicht.»

Schnell wird klar: Backen mit Sauerteig ist wie Musizieren. Es braucht Geduld, Wiederholung, Feingefühl. «Künstler:innen kennen das – man übt, macht Fehler, repetiert, versucht es neu. Genau so ist es beim Backen mit Sauerteig.» Diese Haltung half ihr selbst, dranzubleiben, als Teige missrieten oder Brote flach blieben. Heute vermittelt sie dieses Wissen mit derselben Leichtigkeit, wie sie früher Klavierlektionen gab.

Nahaufnahme Sauerteig
Millionen Mikroorganismen im Einklang – wie ein Orchester.

Der Teig lebt und lehrt

Nach der 15-minütigen Ruhephase kommt das Salz und weiteres Wasser dazu – und die erste echte Herausforderung: die Slap&Fold-Methode. Bojana macht es vor: Den klebrigen Teig hochheben, auf die Arbeitsfläche klatschen, falten. «Das stärkt das Glutennetzwerk», erklärt sie, während der Teig langsam Form annimmt. Die Teilnehmenden kämpfen anfangs mit der Klebrigkeit. «Spürt ihr, wie sich die Textur verändert?», ermutigt Bojana. «Genau das ist Handwerk.» Ihre pädagogische Erfahrung zeigt sich: Sie korrigiert sanft, gibt jedem Zeit, lässt niemanden zurück.

Während der Stockgare – die erste Phase der Fermentation – erzählt sie von ihrem Wissensdurst: «Über 300 Bücher habe ich gelesen», lacht sie. «Ich wollte verstehen, was im Teig passiert.» Und sie hat viel ausprobiert. «Mein erster eigener Sauerteig war aus Roggenmehl – sehr deutsch, daher nannte ich ihn Ludwig.» Sie lächelt verschmitzt. «Dann habe ich mich mehr mit der französischen Brotkultur beschäftigt. Der zweite Sauerteig aus Weizen bekam deshalb den Namen Louis. Und der dritte, den ich speziell für Panettone verwende, heisst Luigi!» Jeder Sauerteig hat seinen eigenen Charakter, erzählt sie liebevoll. «Sie alle brauchen viel Aufmerksamkeit.»

Bücher über Brot
Über 300 Bücher über Brot und Sauerteig hat sie gelesen – und sich so alles selbst beigebracht.

Dehnen statt kneten

Die nächste Lektion ist entscheidend: Dehnen und Falten statt Kneten. «Wir wollen die Luft im Teig lassen», betont Bojana und demonstriert die sanfte Bewegung. «Nicht zerreissen, sondern dehnen – sanft wie ein Seidenschal.» Die Teilnehmenden folgen konzentriert. Plötzlich verstehen alle: Hier geht es um Fingerspitzengefühl, um Dialog zwischen Mensch und Teig. Dieses Dehnen und Falten sollte zwei- bis dreimal alle 30 Minuten erfolgen. Beim letzten Mal besonders sorgfältig, da der Teig bereits viel Kohlendioxid enthält.

Danach folgt das Vorwirken und Vorformen. Hier zeigt sich technische Finesse: Bojana feuchtet ihre Teigkarte leicht an und stürzt den Teig vorsichtig auf die Arbeitsfläche. Sie schiebt die Teigkarte sanft zwischen Teig und Unterlage und dreht den Teig in einer Kreisbewegung – gekonnt, behutsam, respektvoll – bis eine runde Kugel mit glatter Oberfläche entsteht. «Den Teig lassen wir nun ca. 15 Minuten ruhen, damit sich das Gluten entspannt und er leichter formbar wird.»

Während dieser Zwischengare präsentiert Bojana den von ihr vorbereiteten Focaccia-Teig. «Sauerteig Louis ist sehr vielseitig», schwärmt sie. «Brot, Pizza, sogar süsse Gebäcke – alles möglich.» Und als die Focaccia in den Ofen wandert, geht man in Gedanken schon den Backplan der nächsten Tage durch. Denn klar ist: Die Begeisterung ist ansteckend.

Sauerteig kneten
Sanft wie ein Seidenschal – Sauerteig verlang Fingerspitzengefühl.

Formen ist Kunst

Das Wirken und Formen wird zur hohen Schule. Bojana demonstriert, wie der Teig in den Gärkorb kommt, zeigt Schritt für Schritt die richtige Handhabung. «Jetzt braucht er 12 bis 18 Stunden Ruhe im Kühlschrank», erklärt sie. Die Teilnehmenden schauen etwas ratlos – also backen wir heute gar nicht?

«Keine Sorge», lächelt Bojana verschmitzt. «Ich habe für euch alle schon gestern Teige vorbereitet.» Die Freude ist gross, denn damit ging es jetzt es ans Verzieren: Mit dem scharfen Bäckermesser werden Muster in die Teiglinge geritzt – der letzte kreative Akt vor dem Backen im gusseisernen Topf. Doch bevor wir die dampfenden Brote aus dem Ofen holen, kümmern wir uns um Louis bzw. setzen daraus unsere eigene Sauerteig-Mutter an, die wir nach Hause nehmen dürfen. «Das ist wie ein Haustier», schmunzelt eine Teilnehmerin. «Genau», bestätigt Bojana. «Ihr übernehmt Verantwortung für ein lebendiges System. Regelmässig füttern, beobachten, verstehen lernen.»

Muster in Brot ritzen
Muster ritzen – der letzte kreative Akt vor dem Backen

Der Moment der Wahrheit

Um 18 Uhr ist es dann soweit: Brote und Focaccia duften. Bojana schneidet an, reicht das ofenfrische Brot mit Butter und Meersalz – die Focaccia kombiniert sie mit Olivenöl. «Hmmm», «So guut», sind die spontanen Reaktionen aus der Runde.

In diesem Moment verstehen alle: Das sind keine gewöhnlichen Brote. Die Kruste knackt, die Krume ist saftig, das Aroma vielschichtig. «Viel Zeit, viel Arbeit – aber was für ein Geschmack», sagt eine Teilnehmerin andächtig.

Sauerteigbrote
Knusprige Kruste, saftige Krume – der Geschmack spricht für sich.

Reiche Ernte

Alle packen ihre Schätze ein: Ein gebackenes Brot, das sie verziert hatten. Einen Teigling im Gärkorb für morgen. Die eigene Sauerteig-Mutter aus Louis‘ Abstammung. Dazu eine Teigkarte aus Kunststoff und ein scharfes Bäckermesser. Vor allem aber: ganz viel Wissen und Inspiration für das eigene Sauerteig-Abenteuer.

«Morgen werdet ihr euer erstes selbstgemachtes Sauerteigbrot essen», sagt Bojana stolz. «Und ihr werdet verstehen, warum ich nie aufhören konnte.»

Brote im Ofen
Vielfalt pur – jedes Brot eine Geschichte, jede Woche neue Ideen.

Inspiration ohne Grenzen

Das zeigt sich auch an ihrem Sortiment. Kaum ist ein Brot fertig entwickelt, stehen bei Bojana schon acht neue in der Testphase. Inspiration findet sie überall: auf Reisen, in Gesprächen mit ihrem Team, bei Kund:innen. «Ich sauge alles auf, was um mich passiert», lacht sie.

So entstanden Spezialitäten wie das Porridge, ein Haferbreibrot mit spezieller Textur, das Kalamata mit mediterranen Oliven oder das vegane Black Forest Bun – eine Art Schwarzwälder-Torte im Miniformat, alles mit Sauerteig. Dazu kommen die gefragten Spezialwochen: fünf Tage lang Brote und Gebäcke aus einer bestimmten Kultur, von Argentinien bis Japan.

«Das Pan Tumaca zum Beispiel», erklärt Bojana, «ist eine spanische Tapas-Idee: geröstetes Sauerteigbrot mit Olivenöl und Tomaten. Ein paar Argentinier in unserem Team brachten mich darauf.» Ihr Credo: «Ich suche immer nach Wegen raus aus der Monotonie. Das gibt mir Energie, genau wie das Musizieren am Klavier.» Bei allem Erfolg, die Philosophie bleibt klar: klein, nahbar, im Dialog mit den Gästen. «Less is more», fasst Bojana zusammen. «Genau wie beim Sauerteigbrot: Wenige Zutaten, viel Zeit – und Brot mit Charakter.»

Externes Bild
Le Bread

Das «Le Bread - sourdough bakery & coffee» an der Belpstrasse 28 in Bern besteht seit Mai 2025 und wird von Bojana Antovic gemeinsam mit ihrem Partner Julien Paillard geführt. Rund 18 Mitarbeitende kümmern sich mit viel Leidenschaft um das Sauerteig-Sortiment an Brot- und Backwaren sowie das saisonal wechselnde Mittagsangebot. Zu ihren Spezialitäten gehören das Pain de campagne, das Porridge-Brot, die Focaccia und diverse Buns und Brioches. Workshops finden regelmässig an der Belpstrasse 53 statt – Informationen unter lebread.ch.