Keine Selbstverständlichkeit
Der Spätsommer zeigt sich besonders auf dem Land von seiner schönsten Seite. Die Ernte ist eingefahren, Speicher und Keller sind gefüllt. Getreide, Kartoffeln, Tomaten, Rüebli, Äpfel – alles ist da.
Freudenfeste zum Abschluss der Ernte werden in vielen Kulturen gefeiert. Mit dem Dank für die Frucht der Erde und der eigenen Arbeit ist oft die Bitte um ein ertragreiches kommendes Jahr verbunden. Ein historisches Vorbild der christlichen Erntedankfeier ist das jüdische Laubhüttenfest. Es dauert acht Tage und erinnert an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. Die Erntedankfeier wurde im 3. Jahrhundert in das Brauchtum der römischen Kirche übernommen. Erst im 17. Jahrhundert hat sich ein regelmässiges kirchliches Erntedankfest entwickelt, das Ende Sommer gefeiert wird. In Amerika feiert man Erntedank erst im November am Thanksgiving Day. Thanksgiving ist in den USA ein staatlicher Feiertag und für viele Menschen der höchste Tag im Jahr. Im kirchlichen Rahmen ist das Schmücken des Altars mit Erntegaben ein wichtiger Bestandteil des Dankes. Die Feier wird oft mit einer Solidaritätsaktion zugunsten hungernder Menschen verbunden. Heute rücken auch ökologische Themen in den Vordergrund.
An der Sichlete tanzten die Knechte
Blickfang der Erntedankfeiern sind Umzüge mit festlich geschmückten Tieren und Wagen. Ursprünglich gehörte dazu auch die Erntekrone, aus verschiedenen Getreidearten geflochten und mit einem Kreuz geschmückt. Die Erntehelfer überreichten die Krone den Gutsherren als Aufforderung zum Fest. Oft wurde tagelang gefeiert und getanzt. Weitere Erntedankbräuche sind die Wein- und Winzerfeste, der Chästeilet, der Jahrmarkt, der Alpabzug und die Sichlete. Die Sichlete ist ein altes Berner Fest. Der Name kommt daher, dass das Getreide früher mühsam mit einer Sichel geschnitten wurde. An der Sichlete konnten sich Knechte, Mägde und Taglöhner nach den harten Strapazen der Erntezeit voll essen und trinken. Für drei Tage waren sie die Herren und wurden bedient.
Das Erntedankfest erinnert also an den ursprünglichen Wert der Nahrung, an ihren eigentlichen Sinn der Lebenserhaltung und an die Verwurzelung der Ernte im jahreszeitlichen Zyklus. Und vor allem führt uns das Erntedankfest zusammen zum gemeinschaftlichen Essen mit Zeit für Genuss und für unsere Nächsten. Also Tischlein; lass dich reich decken!