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Brauchtumsgebäck Fastenwähe

Ursprung der Fastenwähe

Die Basler Fastenwähe ist mit ihrem Buttergehalt kein Fastengebäck und sieht auch nicht aus wie beispielsweise eine Apfelwähe. Von weitem gleicht sie einer Brezel, ist aber keine. Ihre Geschichte verliert sich im ausgehenden Mittelalter.

Albert Spycher

Damals genossen Basler Domherren anno 1475 in der Fastenzeit «ring und weÿggen». In den Küchenbüchern der Safranzunft sind nach 1526 bei den Aschermittwochsmählern über viele Jahre «weÿen», «weÿenn» oder «weÿgen» verzeichnet. 1548 wurden bei den Kartäusern Auslagen in der Vorfastenzeit für «brot, ring und weÿenn» verbucht. Bei den Ringen dürfen wir annehmen, dass es sich wie später bei den Neujahrringen um Eiergebäcke handelte. Sprachwissenschafter bezeichnen die Begriffe «weÿen», «weÿgen» und «weÿggen» als gleichbedeutend und führen sie auf alt- und mittelhochdeutsche Wörter wie «wajan» oder «waehe» im Sinne von etwas Feinem, Auseinanderlaufendem zurück. Vergleiche mit der Wort- und Sachgeschichte des Weckens sind auszuschliessen.

Im 16. und 17. Jahrhundert feierte die männliche Schuljugend in weiten Teilen des deutschsprachigen Raums am 12. März das Gedenken an ihren Schutzpatron, den Hl. Gregorius, bei welcher Gelegenheit «Schülerbischöfe» gewählt und «Gregoriusbrezeln» verteilt wurden. In Basler Lateinschulen waren es namentlich nicht Brezeln, sondern «Weÿgen». So wurden 1563 zu St. Peter 400 Stück spendiert, und 1595 kamen in der St. Theodorsschule auch Erwachsene bei «Kümmiwecken und grossen Weÿen» zum Genuss. Wie diese Weÿen beschaffen waren, wo und von wem sie gebacken wurden, ist unbekannt.

In jenen Jahren erscheint die früheste schriftliche Erwähnung der Fastenwähe nicht in Basel, sondern in Rheinfelden, wo die Bäcker im Jahr 1554 «ringg, wöggen und fastenwegenn» herstellten. Die erstmalige Niederschrift in Basel findet sich in einer Rechnung der Klosterverwaltung St. Clara vom 7. März 1649 für einen «Trunckh» mit Salat, geräuchter Zunge, Brathähnchen, Kalbsvoressen, Tauben, Brot, 10 Mass Wein und «Fastenweÿen». Im Jahr 1695 wurde die Fasten­wähe Gegenstand von Handwerksvorschriften der Zunft zu Brotbecken. Jährlich Anfang Februar traten sechs Vorgesetzte zum «Sechserbott» zusammen, um nach Massgabe der Getreide- und Butterpreise Gewicht, Preisgestaltung und Vermarktung des Warenangebots festzusetzen. Herstellung und Vertrieb der Fastenwähen war von Montag vor Aschermittwoch bis und mit Ostersonntag erlaubt, Herumtragen und Ausrufen war verboten. Dass die butterhaltige Fastenwähe während des Fastens hergestellt wurde, verstiess im reformierten Basel gegen keine kirchlichen Vorschriften. Den Zunftprotokollen nach waren Verstösse gegen die Handwerksordnungen an der Tagesordnung. Da verkaufte einer noch am Ostermontag, ein anderer nach der Abendpredigt, statt am Morgen danach. Eine Busse von 2 Gulden «für heimliches Backen von anderthalb Dotzend Fastenwäÿen» wurde «nach begehrter Gnad» einer Witwe auf 12 Batzen reduziert. Um Konkurrenzneid ging es, wenn etwa behauptet wurde, eine bestimmte Fastenwähe sei aus Brotteig und bloss mit Milch an­gestrichen. Ein Pastetenbäcker, der sich mit einer Fastenwähe aus Blätterteig einmischte, erlitt eine Abfuhr.

Obschon eine Verordnung «Wie sie sollen gebachen werden» ankündigte, folgten lediglich zunftinterne Regulative und keine Angaben über Backwaren, geschweige denn ein Rezept für die Fastenwähe. Der Basler Gelehrte Prof. Jakob Spreng beschrieb sie um 1760 «als eine ablängliche Fastenbrezel mit einem Kreuz in der Mitte». Also doch eine Art Brezel? Ein Rezept im Kochbuch der Bürgersfrau Valeria Huber von 1773 kommt der Sache näher. Darin wird beschrieben, wie sie Milchbrot in Form einer Fastenwähe oder eines Gipfeli herstellte.» Der Teig wird über die Hand gestreckt und gezogen, bis er eine lange Schlange ist, in der Mitte bleibt er dicker. Man legt ihn aufs Weyenblech und umschlingt ihn zu einer Fastenweyen (…).» Diese erfreuten sich auf Zunftstuben grosser Beliebtheit. Die Spinnwetternzunft bestellte schon vor der Zeit am 23. Dezember 1773 eine grosse Fastenwähe zu 10 Schillingen. Die Normalausführung kostete damals 6 Pfennige.

Das Gebäck wusste auch in der Oberschicht zu gefallen und wurde nach und nach zum Ganzjahresgebäck: Als Helena Valeria Burckhardt 12 Personen zu Besuch hatte, erhellten acht Lichtstöcke den Raum. Es gab Tee mit Rahm, 20 Fastenwähen, für 3 Batzen Brot, 2 Flaschen Bordeaux, 4 Flaschen Weissen, Biscuits, Quittenschnitze und Mirabellen.

Mit dem Anwachsen der Bevölkerung im 19. Jahrhundert stieg der Bedarf an Backwaren aller Art und damit auch der Fastenwähe stetig an. Offenbar waren die Bäcker mit dem Umschlingen nach alter Manier überfordert und fanden mit einem von Basler Spenglern entwickelten vierschneidigen Abstecheisen – dem «Faschtewaje-Yseli» – eine praktische Lösung für den Klein- und Mittelbetrieb: Ovale Teiglinge mit der Handkante leicht eindrücken, abstechen, mit Eigelb bepinseln, mit Kümmel bestreuen, auseinanderziehen und ab in den Ofen.