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Getreidesilo Swissmill

Der «Brot-Turm» von Zürich

Mit seiner Höhe von 118 Metern ist der Getreidespeicher des Coop-Tochterunternehmens Swissmill ein architektonisches Wahrzeichen der grössten Schweizer Stadt – und wichtiger Pfeiler für die Backwarenproduktion im ganzen Land.

Robert Wildi

Der grobschlächtige Güterzug will irgendwie nicht in die urbane Szenerie passen. Mitten im Trendquartier «Zürich West» beim modern renovierten Escher-Wyss-Platz, zwischen Trams, Bürogebäuden und Szenetreffs, rollt er mit Getöse über ein Industriebahngleis, das man hier nicht vermuten würde. Sein Ziel ist das nahe gelegene Areal der Swissmill direkt an der Limmat. Hier steht die grösste Getreidemühle der Schweiz, daneben ein Speicherturm, der die ganze Stadt überragt. 118 Meter hoch ist das «Kornhaus» von Swissmill. Langsam dämmert es einem, was es mit dem Güterzug auf sich hat.

Nicht weniger als 40 000 Tonnen Getreide können im höchsten Silo des Landes gelagert werden. Swissmill stockte den 1957 errichteten Speicher in einem mehrjährigen Projekt massiv auf und verdoppelte so sein Fassungsvermögen. Diese Kapazitäten müssen seit der offiziellen Inbetriebnahme des neuen «Getreide-Wolkenkratzers» am 2. September 2016 nun entsprechend ausgelastet werden. Rund 1000 Tonnen Korn werden heute täglich in Ganzzügen mit bis zu 22 Bahnwaggons angeliefert. Das Rohmaterial stammt je zur Hälfte aus dem In- und Ausland.

Grössere Speicherkapazitäten befeuern auch die operative Leistung. «Unsere Mühle verarbeitet heute jährlich über 200 000 Tonnen Getreide», bestätigt Romeo Sciaranetti, CEO von Swissmill. Die Menge verteilt sich auf Weichweizen, Roggen, UrDinkel, Hartweizen, Hafer und Mais. Das im Zürcher Kornhaus gelagerte Brotgetreide stammt primär aus der Schweiz. Die Relevanz von Swissmill für die nationale Produktion würde man im Banken-Jargon als systemrelevant bezeichnen. «30 Prozent des gesamten verarbeiteten Getreides für Lebensmittel in der Schweiz stammen aus unserer Mühle», hält Sciaranetti fest. Rund 40 Millionen Franken hat der Swissmill-Mutterkonzern Coop in den Bau des neuen Kornhauses und damit in den Wirtschaftsstandort Zürich investiert.

Investition in Nachhaltigkeit und Qualität

Gleichwohl gefällt der Silo-Turm nicht allen Zürchern gleich gut. Bis heute stellt sich da und dort die Frage nach der Notwendigkeit des riesigen Baus. Kritische Stimmen habe man bereits im Vorfeld der Abstimmung sehr ernst genommen, räumt der CEO ein. «Als Beitrag zum politischen Prozess haben wir diversen Anspruchsgruppen unseren Mühlebetrieb gezeigt, haben uns allen Fragen gestellt und blieben mit unseren Nachbarn stets im Gespräch.»

Das proaktive Vorgehen von Swissmill wurde von den Behörden und der Bevölkerung von Beginn weg goutiert. Im Jahr 2010 genehmigten der Stadtrat und der Gemeinderat den Gestaltungsplan. Die ultimative politische Hürde war die Volksabstimmung im Februar 2011. Mit einem Ja-Stimmenanteil von 58,3 Prozent fiel das Votum zuletzt recht deutlich aus.

Als wesentliches Pro-Argument für den Bau führte Sciaranetti damals bis heute die sich laufend verändernden Marktbedürfnisse ins Feld. «Die wachsende Produktvielfalt sowie die Beschaffung der dafür nötigen Qualitäten und Quantitäten des Getreides verlangten von uns eine höhere Lager- und Silokapazität hier an Ort und Stelle der Verarbeitung, was ökonomisch wie auch ökologisch ohnehin sinnvoll ist.» Dass direkt bei der Mühle kein Raum für ein zweites Silo vorhanden ist, sei allen Beteiligten schnell klar gewesen. «Also fragten wir uns, ob es möglich wäre, das bestehende Silo von 1957 einfach in die Höhe zu bauen.» Diverse Experten bestätigten im Vorfeld der Projektierung, dass die Aufstockung bautechnisch machbar und dazu betriebstechnisch sehr sinnvoll sei.

Dank der markanten Kapazitätserweiterung können heute nämlich Zwischenlagerungen an anderen Orten sowie entsprechende Transporte deutlich reduziert werden. «Wir können jetzt ganz verschiedene Getreide nach Sorten, Labels und Backeigenschaften optimal lagern und auch mischen, was letztlich einer erhöhten Qualität im Sinne unserer Kunden zu Gute kommt», erklärt Sciaranetti.

Eine logistische und technische Höchstleistung

Auf die anspruchsvolle und teils sehr herausfordernde Projektierungs- und Bauphase schaut der CEO heute mit einer gewissen Genugtuung zurück. «So mitten in der Stadt ein derartiges Gebäude zu errichten, war logistisch eine echte Herausforderung. Man denke nur an die sehr engen Platzverhältnisse und den massiven Materialumschlag.» Dazu kam die Verkehrssituation mit dem stark befahrenen Sihlquai und dem hohen Eisenbahnviadukt gleich daneben. «Diverse Komponenten, unter anderem sogar die Laichzeit der Fische in der Limmat mussten für die Bauplanung genau beachtet werden.»

Bemerkenswert ist, dass der Mühlebetrieb während der gesamten Bauphase des Kornhauses ganz normal und reibungsfrei weiterlief. Darauf ist Romeo Sciaranetti besonders stolz. «Wir sprechen immerhin von einem sieben Jahre andauernden Projektarbeit, wovon 981 Tage Rohbau.» Die Produktion habe man jederzeit im Griff behalten, so der CEO, der seinen Mitarbeitenden dafür ein dickes Lob ausspricht. Auch die Bauarbeiten seien reibungslos über die Bühne gegangen. «Unter der Leitung von Implenia als Totalunternehmerin haben über 200 Fachkräfte aus verschiedenen Firmen geplant, koordiniert und auf der Baustelle Hand in Hand gearbeitet, unterstützt von unseren Leuten.»

Die grosszügigen Investitionen in das visionäre Zürcher Kornhaus machen sich für alle Anspruchsgruppen bezahlt. So befinden sich rund 90 Prozent aller Kunden von Swissmill im Umkreis von rund 120 Kilometern von der Wirtschafts- und Getreidemetropole entfernt. Sie profitieren künftig von einer noch zuverlässigeren Versorgung. Schon heute rollen täglich zwei bis vier Bahnwagen mit verarbeitetem und verpacktem Mehl vom Swissmill-Anschlussgleis in Richtung Bäckereien und Detailhändler.