Pflicht oder Kür für Bäckereien?
Der Konsument der Zukunft ist vorwiegend online unterwegs und sucht nach effizienten Lösungen, die ihm lästige Alltagsaufgaben wie das Einkaufen erleichtern. Webshops und Lieferdienste gehören dann zum Standard – auch bei Bäckereien? Eine kleine Standortbestimmung.
Die Trendstudie (PDF, 2.2MB) des Schweizerischen Bäcker-Confiseurmeister-Verband (SBC) hält fest: Die Zahl der Einpersonenhaushalte nimmt immer mehr zu und führt zu neuen Verhaltensmustern in der Nahrungsmittelverwertung und -besorgung. Grosse Einkäufe auf Vorrat weichen zugunsten spontaner und kleinerer Einkäufe für den unmittelbaren Bedarf. Weiter werden feste Arbeitszeiten und -orte zukünftig durch flexiblere Tagesabläufe verdrängt. Essgewohnheiten werden individueller und Snacks zwischendurch ersetzen die traditionelle Mahlzeitenstruktur. Zudem befriedigen Tankstellenshops und grosse Ketten dank langer und flexibler Öffnungszeiten den Anspruch an eine ständige Verfügbarkeit. Online-Plattformen bieten komfortable Lieferungen, ohne dass man das Haus verlassen muss. Einkaufen via Smartphone wird zum Standard. Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen und wie sieht die Bäckerei der Zukunft aus?
Unnötiges «Schlage-Stehen» schmälert das Einkauferlebnis des Kunden. © Marlies Keck
Gemäss obiger Studie sollte die Verkaufsfiliale von Bäckereien und Confiserien künftig so aufgebaut sein, dass weder langes In-der-Schlange-Stehen noch ungeplante Wartezeiten den Einkaufsvorgang unnötig in die Länge ziehen. Zudem sind neue Vertriebswege gefragt – beispielsweise Online- resp. Smartphone-Bestelldienste (zum Abholen) oder eine Partnerschaft mit einem Hauslieferdienst. Gerade beim Online-Vertriebskanal tue sich die Branche allerdings schwer, so Sarah Stettler, Leiterin Marketing Services beim SBC. «Das Thema wird rege diskutiert und es gibt auch immer wieder Pilotprojekte. Allerdings macht der Anspruch, frische und qualitativ hochwertige Produkte anzubieten, einem Versand- oder Lieferdienst oft einen Strich durch die Rechnung.» Produkte der Confiserie seien dafür besser geeignet, als Brot und Backwaren.
Nachfolgend einige Ansichten und Vertriebskonzepte aus der Branche:
Bäckerei John Baker: Offene Backstube, Velokurier und Logistikpartner
John Baker überzeugt mit offener Produktion, Elektroveloexpress und Logistikpartner Farmy © Saskia Widmer
Einer, der sein traditionelles Handwerk gekonnt mit nachhaltiger Produktionsweise und innovativen Vertriebsideen verbindet, ist Jens Jung alias John Baker. Die Hauptrohstoffe bezieht er alle aus dem Kanton Zürich – und zwar in Bio-Qualität – und das Brot wird direkt vor den Augen der Kunden im Laden gebacken. «Das ist echter, direkter Kontakt mit dem Kunden am Verkaufspunkt» sagt er und meint bezüglich Konsumtrends: «Ich versuche immer, vorwärts zu denken und wende sehr viel Zeit für die Weiterentwicklung meiner Betriebe auf.» So erstaunt es nicht, dass John Baker nicht nur beim offenen Ladenkonzept, sondern auch hinsichtlich Vertrieb neue Wege geht. «Selbstverständlich bieten wir auch einen Lieferdienst innerhalb der Stadt Zürich an. Hier kommt unser Elektroveloexpress zum Einsatz. Dank massgeschneiderten Transportkisten können wir so auch grosse Ladungen sehr effizient transportieren.» Und ausserhalb der Stadt? «Tatsächlich haben wir schon seit 2014 eine Partnerschaft mit der Online-Plattform Farmy, die unsere Produkte in der ganzen Schweiz vertreibt. So profitieren wir von der ausgereiften Logistik, der grösseren Reichweite und erhöhen gleich auch unsere Bekanntheit.» Interessant sei, dass am Montag eher gesunde Backwaren wie Dinkelbrot bestellt werden, zum Wochenende hin eher Süsswaren.
Lieferdienst Farmy: Online-Hofladen für regionale und biologische Produkte
Die Produzenten von Farmy liefern nur die Mengen an, die auch effektiv bestellt wurden. © farmy.ch
John Baker gehört bei Farmy zu einer illustren Gruppe von so genannten «Crossdocking»-Bäckereien. Sie liefern täglich, und zwar nur genau die Menge, die auch effektiv bestellt wurde. «Wir lagern keine Ware, was die Frische der Produkte garantiert» sagt Thomas Zimmermann, Chefeinkäufer von Farmy. «Als Online-Hofladen für regionale und biologische Produkte bieten wir unseren Kunden alles, was es auch auf dem Markt zu kaufen gibt. Früchte, Gemüse, Fleisch, Milchprodukte, Konfitüre und natürlich auch Brot. Der Unterschied ist, dass wir es direkt vom Bauern resp. Bäcker zu unseren Kunden bringen. Wenn das Brot also früh morgens bei uns ist, war es zwei-drei Stunden zuvor noch im Ofen. Frischer geht nicht.» Neben John Baker gehören auch die Bäckerei Neuhof, die St. Jakob Bäckerei und Schneiders Quer zu den täglichen Brotlieferanten. Und wie funktioniert der Bestellvorgang? «Aufgrund der besonderen, zeitintensiven Herstellungsbedingungen von Brot, müssen wir unseren Bäckereien natürlich eine gewisse Vorlaufszeit gewährleisten. Entsprechend arbeiten wir mit Vorgabebestellungen, die laufend aktualisiert und kurz nach Mitternacht finalisiert werden. Wir geben zu: Diese Logistik fordert optimale Prozesse und eine grosse Flexibilität seitens der Bäckereien. Nicht jeder Betrieb ist bereit, diesen Just-in-Time-Effort zu leisten.» Doch der Erfolg gibt Farmy Recht. Brot – ohne Confiserie – mache 4% am Gesamtumsatz aus. Nach Le Shop und Coop@Home ist Farmy damit der drittgrösste Online-Lieferdienst.
Pistor: Gastro- und Bäckereien-Zulieferer
Umfassendes Sortiment: Pistor bringt alles, was es in Backstube oder Küche braucht. © Pistor AG
Auch für Branchenkenner Heinz Nussbaumer, der beim Gastro- und Bäckereien-Zulieferer Pistor für die Strategie- und Geschäftsentwicklung zuständig ist, hängt ein Gelingen im Online-Vertrieb von einer funktionierenden Logistik ab. «Es wird noch viele Apps und Plattformen geben – aber nicht alle werden überleben. Lebensmittel hinken hier noch klar dem Kleiderhandel oder elektronischen Medien hinter her. Daher bleibt für Bäckereien das stationäre Geschäft und die persönliche Bedienung weiterhin das Wichtigste. Nur grössere Betriebe haben die Ressourcen, sich mit solchen Innovationen auseinanderzusetzen. Kleinere Bäckereien haben kaum die erforderlichen Kapazitäten oder entsprechende IT-Möglichkeiten.» Ihnen empfiehlt er, eine Nische zu bedienen. «Attraktiv sind vor allem Lieferdienste für Geschäftskunden für Business-Lunches oder zunehmend auch Belieferungen an lokale Altersheime oder Spitäler.» Je nach Betriebs- und Sortimentsgrösse ist also eine eigene Lösung oder eine Partnerschaft mit einem Lieferdienst zu wählen.
Vermittlerdienst Juts: Online-Plattform als zentrales Lieferanten-Netzwerk
Die Plattform fungiert als Vermittler und schliesst Bäckereien zu einem zentralen Lieferanten-Netzwerk zusammen. © juts.ch
Es gibt noch eine weitere Möglichkeit – und zwar die Anbindung an einen Vermittlerdienst wie Onlinebeck24, welcher zum Startup-Unternehmen Juts gehört. Geschäftsführer Serge Aerne erklärt: «Über unsere Website onlinebeck24.ch können Brot, Gipfeli wie auch Pausenbrötchen bestellt werden. Wir fungieren dabei als Vermittler und schliessen die Bäckereien zu einem zentralen Lieferanten-Netzwerk zusammen.» Der Vorgang ist ganz einfach: Der Kunde gibt in der Suchleiste der Webseite seine Postleitzahl ein, womit nun alle registrierten Bäckereien in seiner Umgebung aufgelistet werden. Davon wählt er eine aus und stellt dann seine individuelle Frühstücksbox zusammen. «Zu einem von ihm gewählten Zeitpunkt liefert der lokale Bäcker seine Ware – ohne zusätzliche Lieferkosten. Allerdings ist eine Bestellmenge von mindestens 20 Franken nötig.» Die Vorteile liegen auf der Hand: «Die Bäckereien freuen sich über eine zusätzliche Einnahmequelle und erreichen ein neues Publikum. Tatsächlich sind rund 60 Prozent der Kunden Firmen, die für Sitzungen oder Konferenzen Gipfeli oder Sandwiches bestellen.»
Bäckerei Haueter Adelboden: Brotversand via Swiss Express „Mond“ der Post
Auch die Bäckerei Haueter in Adelboden findet laufend neues Publikum und ist mit ihrem Brot über die Gemeindegrenzen hinaus bekannt. Das verdankt sie allerdings ihrer Präsenz am Brotmärit und an den Slow Food Märkten Bern und Zürich, an welchen sie ein paar Mal jährlich einen Stand betreuen. «So lässt sich nicht nur ein breiteres Publikum für die Mentalität sensibilisieren, sondern auch für gutes, handgemachtes Brot begeistern» erklärt Marc Haueter, Juniorchef der Bäckerei. Slow Food? Das passt – schliesslich ruhen die Brote in Haueters Backstube bis zu 72 Stunden, wodurch sie ihr einzigartiges Aroma entfalten. Und dass das Slow Bread ankommt, bestätigt sich durch die regelmässigen Brotbestellungen, welche sie schweizweit per Post abwickeln. «Brote für den Postversand backen wir am späteren Nachmittag, so dass sie via Mond-Express am nächsten Morgen um 8 Uhr noch frisch beim Kunden sind.» Schliesslich solle jedes Haueter-Brot ein Prachtexemplar in Geschmack, Geruch und Aussehen sein. Ganz egal, auf welchem Weg es die Backstube verlasse. Dabei sei ein Postversand für ihren Betrieb die beste Lösung, zumal ein Hauslieferdienst zu hohe personelle Auswirkungen hätte. «Wir investieren lieber in innovative Produkte und setzen sie im Laden kreativ in Szene». Tatsächlich sind die Auslagen in den Fenstern wahre Publikumsmagnete und nicht wenige im Haueter-Team sind bereits über zehn Jahre in der Bäckerei angestellt – ein Gütesiegel, das für sich spricht.
Auch in der Zukunft ist für Bäckereien das stationäre Geschäft und die persönliche Bedienung von entscheidender Bedeutung. © Marlies Keck
Egal, für welches Vertriebskonzept sich ein Betrieb entscheidet, Fakt ist: Wir befinden uns in einem Spannungsfeld. Einerseits entwickeln wir uns hin zu einer werteorientierten Gesellschaft, die in Zukunft noch bewusster mit ihrer Ernährung umgeht. Konsumenten hinterfragen das aktuelle Angebot und möchten wissen, was, wo und wie hergestellt wurde und wie es den Weg ins Regal gefunden hat. Entsprechend wird die Nähe zum Produzenten geschätzt, was mit Nachhaltigkeit und Transparenz bei den Produktionsbedingungen einhergeht. Gleichzeitig steigt andererseits auch das Bedürfnis nach Einfachheit, Komfort und Bequemlichkeit. Und dort, wo die Konsumenten primär auf den Preis und Effizienz schauen, wird es auch immer mehr automatisierte Prozesse geben: Online-Einkäufe, Self-Scanning und Self-Checkout-Kassen sind hier erst der Anfang. Lieferdienste und Online-Services, die uns rund um die Uhr mit frischer Ware versorgen, fordern die bestehenden Marktstrukturen und damit auch die hiesige Bäckereibranche heraus.
© Headerbild Marlies Keck