Artikel

Vermahlen

Das Weizenjahr – Teil 6

Der geerntete Weizen ruht in den Silos der Sammelstellen, bis es zur Mehl-Verarbeitung in die Mühle Entenschiess geht. Hier ist Sabrina in ihrem Element. Teil 6 unserer Beitragsserie widmet sich dem Vermahlen des Korns und der Herstellung von Mehl.

Marlies Keck

Unsere Beitragsserie zum Weizenjahr:

Teil 1 — Zu Besuch bei Familie Grunder
Teil 2 — Aussaat von Winterweizen
Teil 3 — Kälteschock
Teil 4 — Hege & Pflege
Teil 5 — Die Ernte
Teil 6 — Vermahlen

Erstmals erwähnt wurde die Mühle Entenschiess im Jahr 1379, als noch ein Wasserrad die Mühlsteine antrieb. Heute ist das Wasserrad längst verschwunden, der Bach wurde eingedohlt, und die Mühle läuft elektrisch. Auch wenn viele Maschinen noch aus der Nachkriegszeit stammen, eine moderne Photovoltaik-Anlage auf dem Dach produziert einen Teil des benötigten Stroms. Sabrina, die seit ihrer Hochzeit im April 2024 den Namen Denzler trägt, empfängt mich mit einem freundlichen «Hallo!». Der Geruch von frischem Mehl liegt in der Luft und man spürt sofort: Hier wird mit Leidenschaft gearbeitet. «Willkommen in meinem Reich», sagt sie und deutet mit einer weiten Armbewegung auf die altehrwürdigen Maschinen, die hier summen und brummen.

Tradition und Innovation: Die Mühle Entenschiess schafft den Spagat – mit Handwerk und Solarstrom. © Mühle Entenschiess

Tradition und Handwerk

Sabrina ist die Fachfrau der neuen Müllergeneration in ihrer Familie – schon ihr Grossvater und Vater haben das Müllerhandwerk gelernt. «Die Mühle ist seit Jahrzehnten Teil unserer Familie», erzählt sie. «Und auch wenn sich die Technik geändert hat, das Handwerk ist im Kern dasselbe geblieben.» Mit ihren 27 Jahren bringt Sabrina nicht nur frischen Wind in die Mühle, sondern auch fundiertes Know-how und handwerkliches Geschick. Nach ihrer KV-Lehre hat sie die Lehre zur Müllerin absolviert – danach folgte die Meisterprüfung und die Weiterbildung zur diplomierten Müllerei-Technikerin. «Für die Selbstständigkeit ist der kaufmännische Hintergrund natürlich sehr wertvoll» betont sie und relativiert ihre Aussage gleich wieder. «Aber fürs Büro bin ich nicht gemacht.»

Familie Grunder
Sie sorgen für bestes Mehl aus Schweizer Getreide: Sabrina Denzler mit ihren Eltern Bruno und Maja Grunder. © Schweizer Brot

Herausforderung Ernte 2024

Anfang September hat die Familie den ersten Weizen aus der diesjährigen Ernte aus den umliegenden Sammelstellen abgeholt. «Qualitätsschwankungen gibt es immer» sagt Sabrina. «Daher mischen wir den neuen Weizen jeweils in kleinen Mengen zur Reserve aus dem letzten Jahr dazu. So haben wir einen fliessenden Übergang und die Kundschaft kann sich gut an die Qualität der neuen Ernte gewöhnen.» Wie sieht die Qualität denn aus? «Das nasse Wetter hat leider vielerorts zu Pilzbefall geführt – und damit zu einer vergleichsweise geringen Menge an Schweizer Getreide, die sich noch für die Lebensmittelindustrie eignet», sagt Sabrina. «Aber derjenige Weizen, der es ins Brotgetreide geschafft hat, ist von guter Qualität. Die Fallzahlen waren gut.» Fallzahlen? Sabrina erklärt: «Eine wichtige Kennzahl, um die Backqualität zu beurteilen, ist die sogenannte Fallzahl. Sie misst, wie stark die Enzyme im Getreide die Stärke abbauen. Ist die Fallzahl zu niedrig, hat das Korn zu viel Feuchtigkeit abbekommen und angefangen zu keimen. Solches Getreide eignet sich dann nicht mehr für gutes Brot, weil der Teig nicht richtig aufgeht», so Sabrina. «Aber eben: Unsere Kundinnen und Kunden müssen sich keine Sorgen machen. Bis zur nächsten Ernte können wir nach wie vor bestes Mehl aus Schweizer Weizen herstellen.»

Transport des Mehls zum Silo
Von der Sammelstelle in die Silos der Mühle Entenschiess: Weizen der Ernte 2024. Schwankungen von der alten zur neuen Ernte werden von Sabrina mit Reserven aus dem Vorjahr ausgeglichen. © Mühle Entenschiess

Der Mahlprozess: Von Reinigung und Benetzung…

Und wie genau entsteht denn nun Mehl? «Der Mahlprozess beginnt mit der Reinigung des Getreides», erklärt Sabrina, als wir uns durch die verschiedenen Ebenen der Mühle bewegen. Dies ist ein aufwendiger Prozess, bei dem Unkrautsamen, Steine und andere Fremdstoffe aussortiert werden. «Danach folgt das Netzen. Denn für die Herstellung von hellen Mehlen ist es wichtig, die Schale des Getreidekornes möglichst vollständig vom Mehlkern zu trennen», erläutert Sabrina. «Dafür wird das Getreide auf einen optimalen Feuchtigkeitsgehalt gebracht.» In Industriemühlen wird dies mit Sensoren gemessen bzw. gesteuert, aber in der Mühle Entenschiess verlässt sich Sabrina auf ihre Erfahrung. «Ich nehme das Korn in die Hand, beisse hinein und weiss dann, wie viel Wasser ich zugeben muss», sagt sie und zeigt mir den Wasserhahn mit Düse, der das Korn benetzt. Nach einer Ruhezeit von bis zu 12 Stunden, in der die Schale des Korns weich wird und der Mehlkörper mürbe, beginnt der eigentliche Mahlprozess.

Benetzungs-Maschine
Ist das Getreide gereinigt, wird es benetzt – die Schale des Getreides wird weich und der Mehlkörper mürbe. So wird eine höhere Ausbeute erzielt, d.h. es kann mehr helles Mehl gemahlen werden.

…auf den Walzstuhl und Plansichter …

Vom Silo in die Mühle sind es rund 8 Tonnen Getreide, die Platz finden. «Damit kann ich etwa eine Woche mahlen», so Sabrina. Das vorbereitete Korn wird auf dem ersten Walzenstuhl vorsichtig aufgebrochen und anschliessend auf weiteren Walzenstühlen stufenweise zerkleinert. Zwischen den einzelnen Mahlpassagen wird das Mehl im Plansichter – einem schrankgrossen, freischwingenden Kasten, in dem sich Siebe mit unterschiedlicher Maschengrösse befinden – gesichtet und sortiert. Das Prinzip ist einfach: Was durch das Sieb fällt, ist Mehl. Was nicht durchfällt, geht zum nächsten Walzenstuhl und wird wieder gemahlen und dann wieder gesiebt. So wird nach jedem Mahlvorgang das Mahlgut nach Teilchengrösse in unterschiedlich feine Zwischenprodukte getrennt – in Schrot, Griess, Dunst und Mehl.

Vermahlen mit dem Plansichter
Zwischen den einzelnen Mahlpassagen wird das Mehl im Plansichter – einem schrankgrossen, freischwingenden Kasten, in dem sich rund 70 Siebe mit unterschiedlicher Maschengrösse befinden – gesichtet und sortiert.

…bis zum fertigen Mehl

Mahlen und Sieben können sich bis zu 8 Mal wiederholen resp. so oft, bis den Schalen kein Teil des von Natur aus hellen Mehlkerns mehr anhaftet. Das Mehl wird in den Mischern zu verschiedenen Sorten gemischt. Die verbleibenden Teile wie Kleie (auch Grüsch genannt) und Bollmehl (Futtermehl) sind so genannte Mühlenachprodukte und werden zur Herstellung von Tierfutter weiterverkauft. In der Verarbeitung von Getreide zu Mehl entsteht also praktisch kein Abfall. «Wir nutzen den grössten Teil der Mühlenachprodukte gleich selbst für unsere Kühe» erklärt Sabrina. Neben den sieben Hektaren Land für Winterweizen gehören nämlich u.a. auch rund 20 Milchkühe zum Hof. «Das Futter für unsere Kälber erhält beispielsweise Bollmehl statt Milchpulver.»

Arten von Weizen und Mehl
Verschiedenes Mehl verpackt
Im Mahlprozess entstehen die unterschiedlichen Produkte parallel – Schrot, Greiss, Dunst und letztlich Mehl. Die Feinheit des Mehls wird nicht durch das Mahlen bestimmt, sondern hängt von der Maschengrösse der eingelegten Siebe im Plansichter ab.

Klein aber fein!

Um die Mühle auszulasten, wird Schweizer Getreide aus den umliegenden Sammelstellen zugekauft – auch Roggen und Dinkel bezieht die Mühle Entenschiess so. Im Angebot sind damit rund 30 Mehlsorten, darunter vor allem auch Spezialmehle wie Herbstfestmehl oder Kartoffelmehl. «Als kleine Mühle können wir uns so optimal positionieren und auf den Preiskampf mit den grossen Industriemühlen verzichten», sagt Sabrina. «Auch können wir kleine Mengen als Lohnvermahlung annehmen.» Ein Angebot für andere Landwirte, die ihr Getreide in der Mühle Entenschiess mahlen lassen, um dann «ihr Mehl» im eigenen Hofladen zu verkaufen. «Unsere Grösse ist perfekt dafür», so Sabrina. Mittelgrosse Mühlen können das nicht – sie sind zu gross für kleine Mahlposten und zu klein für Industriemengen.»

Absacken
Das Mehl der Mühle Entenschiess wird nicht «lose» geliefert, sondern stets in Säcken abgepackt. Im dem Läden sind 1- und 5-Kilosäcke im Verkauf. @ Schweizer Brot

Natur – pur!

Zur Spezialisierung auf Spezialmehle gehört auch der Verzicht auf Zusatzstoffe. «Bei uns wird kein Mehl mit Weizenkleber, Enzymen oder Vitamin C ‹optimiert›, wie dies oft in Grossmühlen Usanz ist», sagt Sabrina. «Unsere Kundschaft schätzt das.» Die Mühle Entenschiess beliefert zwei Bäckereien der Region, diverse Volg bzw. Landi-Läden, Pizzerien und grössere Institutionen wie Kartause Ittingen, das Altersheim Seuzach oder das Schloss Herdern. «Der grösste Anteil sind aber Privathaushalte, also backfreudige Menschen um uns herum», lächelt Sabrina. «Die Nachfrage nach dem puren Naturprodukt Mehl zeigt sich vor allem auch da.»

Nächster Besuch: Mehlverkauf und Backvielfalt

Rund 30 Mehlsorten stellt Sabrina in ihrer Mühle Entenschiess her. Was es damit zu Backen gibt? Wir fragen nach – im 7. und letzten Teil unserer Beitragsserie – inklusive Guetzli-Rezept! Nachzulesen – demnächst in diesem Blog.