Wertschöpfungskette
Es ist ein einzigartiger Genussmoment: Der Duft von frisch gebackenem Brot. Der Biss hinein lädt uns ein – auf eine Reise zu seinen Wurzeln. Vom Bäcker über Müller zu Landwirt und Saatgutzüchter: Jeder Schritt trägt dazu bei, dass Schweizer Brot seinen besonderen Charakter erhält.
Von Meisterhand geformt: Backhandwerk mit Tradition

Die Auswahl ist überwältigend: Vom buttrigen Gipfeli über knusprige Baguettes bis zum saftigen Bauernbrot und nahrhaften Vollkornbrot. Das Sortiment einer Schweizer Bäckerei umfasst oft mehr als 200 verschiedene Kreationen – eine tägliche Herausforderung für die Bäcker-Konditor-Confiseur:innen, die unser «täglich Brot» zu einem unvergesslichen Genusserlebnis machen.
Es ist ihre Leidenschaft für das Handwerk, die sie in den frühen Morgenstunden antreibt. Ihr Tag beginnt, wenn die Welt noch träumt. Mit geübten Händen kneten, formen und pflegen sie die Teige, die für Stunden ruhen müssen, um ihre perfekte Konsistenz zu erreichen. Es ist diese Liebe zum Detail, die den Unterschied macht: Die richtige Bearbeitung des Teiges, das Gespür für den Moment, wenn das Brot aus dem Ofen geholt werden muss – goldbraun, rösch und verführerisch duftend.
Klar ist: Wenn wir in ein frisches Brot beissen, schmecken wir nicht nur die knusprige Kruste und den luftigen Teig – wir schmecken die Handwerkskunst, die in jedem Laib steckt. Denn die Vielfalt der Brotsorten und zahlreichen regionalen Spezialitäten spiegeln die reiche Backtradition der Schweiz wider. Es ist die Qualität durch Erfahrung, Präzision und Leidenschaft, die Schweizer Brot so besonders macht – und sorgfältig ausgewählte Zutaten.
Allen voran das Mehl, das den Charakter des Brotes entscheidend prägt und bereits eine eigene Geschichte in sich trägt. Denn bevor es in der Backstube landet, durchläuft das Mehl selbst einen kunstvollen Veredelungsprozess, der tief in der Schweizer Tradition verwurzelt ist.
Vom Korn zum Gold: Die Kunst des Mahlens

In den Schweizer Mühlen trifft jahrhundertealtes Handwerk auf modernste Technologie. Die Müllerinnen und Müller bilden das zentrale Bindeglied zwischen Landwirtschaft und Backhandwerk. In historischen Mühlen, deren Geschichte teils bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht, oder in modernen Grossbetrieben, die täglich bis zu 1000 Tonnen Getreide verarbeiten, wird das Korn in seine Bestandteile zerlegt und zu unterschiedlichsten Mehlsorten zusammengesetzt.
Der Mahlprozess beginnt mit der sorgfältigen Reinigung des Getreides. In traditionellen Mühlen beurteilen die Fachleute das Korn mit allen Sinnen und wissen genau, wie viel Wasser sie zugeben müssen, damit die Schale weich und der Mehlkörper mürbe wird. Die Qualität des Mehls entscheidet letztlich über den Charakter des Brotes, seine Textur und seinen Geschmack.
Nach dem Benetzen und einer Ruhezeit von bis zu 12 Stunden beginnt das eigentliche Mahlen: Auf Walzenstühlen wird das Korn behutsam aufgebrochen und in mehreren Durchgängen immer feiner gemahlen. Zwischen den Mahlgängen trennen Siebe das fertige Mehl von den gröberen Bestandteilen. Bis zu acht Mal durchläuft das Getreide diesen Prozess. Das Ergebnis: eine Vielfalt an Mehlsorten – vom feinen Weissmehl bis zum kräftigen Vollkornmehl. Selbst die abgetrennten Schalen (Kleie) finden als Tierfutter Verwendung – ein nachhaltiger Kreislauf, der das gesamte Korn nutzt.
Jede Mühle hat ihre eigenen Spezialitäten. Kleinere Betriebe bieten oft Spezialmehle und mahlen für einzelne Landwirte das Korn zu «ihrem» Mehl für den Hofladen. Die grossen Industriemühlen sorgen für gleichbleibende Qualität in grösseren Mengen. Zusammen garantieren sie die Vielfalt, die Schweizer Brot auszeichnet.
Doch woher kommt das Qualitätskorn genau? Unsere Spurensuche führt uns weiter zum Ursprung des Getreides – in die Hände jener, die täglich mit Wetter und Natur im Dialog stehen.
Hüter des Ackers: Die Landwirtschaft und ihr Getreide

Die Qualität des Mehls hängt entscheidend von der Qualität des Getreides ab. In der Schweiz sorgen rund 20000 landwirtschaftliche Betriebe dafür, dass hochwertiges Getreide auf zirka 140000 Hektaren gedeiht – knapp 60% davon ist Brotgetreide. Die tägliche Herausforderung: das Wetter.
Zu viel Regen kann zu Pilzbefall führen, Trockenheit wiederum zu mageren Erträgen. Ein Hagelzug kann innerhalb von Minuten die Arbeit eines ganzen Jahres zunichte machen. Diese Unberechenbarkeit erfordert viel Erfahrung, präzises Timing und Flexibilität – gerade in Zeiten des Klimawandels.
Der Jahresrhythmus beginnt im Herbst mit der sorgfältigen Vorbereitung des Bodens. Der Landwirt pflügt, eggt und schafft die optimalen Bedingungen für die Aussaat. Nach dem Keimen durchläuft das Getreide in den Wintermonaten den notwendigen «Kälteschock», der die Pflanzen stimuliert, im Folgejahr Ähren auszubilden.
Mit dem Frühling beginnt die intensive Wachstumsphase. Die Landwirte kontrollieren regelmässig ihre Felder auf Schädlinge und Krankheiten. Dabei setzen sie zunehmend auf umweltgerechte Methoden – rund 70% des Schweizer Getreides wird nach den Extenso-Richtlinien angebaut, mit minimalem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.
Im Hochsommer steht schliesslich die Ernte an – ein Moment, in dem jeder Tag zählt. Das geerntete Korn gelangt direkt zu den Sammelstellen, wo es gereinigt, getrocknet und auf seine Qualität geprüft wird. Hier erfolgt die erste wichtige Selektion: Nur das beste Getreide schafft es in die Lebensmittelproduktion und damit letztlich in unser Brot.
Ein Spannungsfeld zeigt sich bereits bei der Wahl der Getreidesorten. Während Müller und Bäcker vor allem auf hervorragende Backeigenschaften Wert legen, müssen Landwirte die Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten und die Anpassung an lokale Bedingungen im Blick haben. Zum Glück bietet die Saatgutforschung eine immer grössere Vielfalt an Sorten, um diese verschiedenen Anforderungen zu vereinen. Moderne Züchtungen versuchen, die hohen Qualitätsansprüche der Verarbeiter mit der nötigen Robustheit für den Feldanbau zu kombinieren.
Wie das geht? Die Antwort führt uns zu den Saatgutherstellern und zur Getreidezüchtung.
Die Saatgut -Manufaktur: Vom Feld zur Aussaat

Seit über zehntausend Jahren ist es eine landwirtschaftliche Tradition der Bauern, einen Teil der Ernte als Saatgut zurückzubehalten, um es in der nächsten Saison wieder anzubauen. Heute übernehmen spezialisierte Saatguthersteller diese fundamentale Aufgabe – als wichtiges Glied in der Wertschöpfungskette.
Als Saatgutproduzent ist man dem Brot stets mindestens zwei Jahre voraus. Was heute als Saatgut produziert wird, wächst im kommenden Jahr zum Getreide heran und landet erst im Jahr darauf als Brot auf unserem Tisch. Diese zeitliche Dimension erfordert vorausschauendes Denken und präzise Planung.
In der Schweiz schliessen Saatguthersteller wie die SEMAG Verträge mit Bauern ab, um qualitativ hochwertiges Saatgut zu produzieren. Das Erntegut wird in speziellen Anlagen wie jener in Lyssach angeliefert, sorgfältig gereinigt und anschliessend als Saatgut zertifiziert. Es durchläuft strenge Qualitätskontrollen, bei denen nur das grosse, gesunde Korn den Weg zurück aufs Feld findet.
Diese akribische Selektion bildet einen rigorosen Qualitätsfilter am Beginn der Produktionskette. Der Saatguthersteller sorgt dafür, dass die wertvollen Eigenschaften, die über Jahre hinweg gezüchtet wurden, erhalten bleiben und an die Landwirte weitergegeben werden. Nur so kann der Kreislauf von hochwertigem Getreide, feinem Mehl und letztlich gutem Brot überhaupt beginnen.
Saatgut ist damit nicht nur ein Wirtschaftsgut, sondern ein Kulturgut von unschätzbarem Wert. Es bildet das Fundament für jedes Stück Brot, das wir geniessen. Doch woher kommen die Eigenschaften dieser Saatkörner? Die Antwort führt uns zu den Anfängen der Kette – zu den Getreidezüchtern.
Am Anfang war das Korn: Die Saatgutzüchtung

Die Entwicklung einer neuen Getreidesorte ist ein Langzeitprozess. Zwischen der ersten Kreuzung und einer marktfähigen Sorte liegen zwölf bis fünfzehn Jahre geduldiger Forschung. Ein Züchter muss also heute Sorten entwickeln, die den Anforderungen von übermorgen gerecht werden.
In der Schweiz sind Agroscope und die Firma Delley Samen und Pflanzen AG für die Brotweizenzüchtung zuständig. Durch gezielte Kreuzungen verschiedener Weizensorten entstehen neue Varianten mit optimierten Eigenschaften.
Entscheidend für den Erfolg sind umfangreiche Feldversuche. Swiss Granum testet an zehn Standorten in der Schweiz bis zu 24 Weizensorten in verschiedenen Anbauverfahren. Diese Versuche bilden die Grundlage für die «Liste der empfohlenen Sorten», die Landwirten als wichtige Entscheidungshilfe dient.
Eine neue Getreidesorte steht im Spannungsfeld verschiedener Anforderungen. Sie muss dem Landwirt einen stabilen Ertrag garantieren und gleichzeitig widerstandsfähig gegen Krankheiten sein. Dem Müller soll sie optimale Verarbeitungseigenschaften bieten und dem Bäcker ein Mehl liefern, das zu hochwertigem Brot verarbeitet werden kann. Ein wichtiges Qualitätskriterium ist dabei der Gehalt an Feuchtgluten, der entscheidend für das Aufgehen des Teiges ist.
Zusätzlich stellt der Klimawandel die Züchter vor neue Herausforderungen: Moderne Sorten müssen zunehmend mit Extremwetterereignissen und neuen Schädlingen zurechtkommen. Bei jeder neuen Sorte versuchen die Züchter, möglichst viele positive Eigenschaften zu kombinieren – ein komplexer Balanceakt zwischen teils widersprüchlichen Zielen.
Die Qualität eines Brotes beginnt also nicht erst beim Bäcker, sondern bereits im Züchtungslabor und auf den Versuchsfeldern – lange bevor das erste Korn überhaupt ausgesät wird. Diese langfristige Perspektive zeigt, wie komplex die Wertschöpfungskette des Schweizer Brotes wirklich ist. Und was bei der Züchtung angelegt wird, findet sich später im Brot wieder: Die Nährstoffzusammensetzung, der Ballaststoffgehalt, die Mineralien und Vitamine.
Und hier schliesst sich der Kreis unserer Wertschöpfungskette – vom Korn zum fertigen Brot und schliesslich zu unserem Wohlbefinden. Weshalb Brot in eine ausgewogene Ernährung gehört, erfährt man u.a. in der Ernährungsberatung.
Gesund geniessen: Brot in unserer Ernährung

Was viele nicht wissen: Brot ist besser als sein Ruf. Obwohl kohlenhydratreiche Lebensmittel manchmal kritisch gesehen werden, bestätigen Ernährungsberaterinnen und -berater: Brot ist ein wichtiger Energielieferant mit gesundheitsfördernden Eigenschaften.
Dunkles Brot oder Vollkornbrot besticht vor allem durch seinen hohen Anteil an Ballaststoffen und wirkt beispielsweise Darmerkrankungen und Verstopfungen vor. Auch bei erhöhten Cholesterinwerten oder zur Vorbeugung von Diabetes kann der richtige Brotkonsum positive Effekte haben.
Besonders wertvoll sind die enthaltenen B-Vitamine und Mineralien wie Magnesium, Fluor, Jod und Zink. In dieser Nährstoffdichte können teilweise nicht einmal manche Gemüsesorten mithalten. Zudem macht Brot nachhaltig satt und ist ein praktischer Begleiter im Alltag.
Wie bei allen Lebensmitteln ist es eine Frage der richtigen Menge und Kombination. In der Regel ist es nicht das Brot, das ungesund ist, sondern der Belag. Statt kalorienreicher Aufstriche kann man zu gesunden Alternativen greifen – von Hüttenkäse mit Birne über Ziegenkäse mit Walnüssen bis zu Avocado mit Feta. Und wenn es um die perfekte Kombination geht, sind wir wieder beim Anfang unserer Reise – beim Genuss. Ein Brotsommelier weiss wie kein anderer, welches Brot womit am besten harmoniert und wie der volle Geschmack zur Geltung kommt.
Zurück zum Genuss: Eine Aromabibliothek im Kopf

Unsere Reise durch die Wertschöpfungskette des Schweizer Brotes begann mit dem Genuss und endet auch dort – beim Brotsommelier. Diese noch rare Spezialistengruppe verbindet das Wissen um die Herstellung mit der Kunst des perfekten Geschmackserlebnisses.
Ein belegtes Brot ist wohl die einfachste Form des «Food Pairings». Und doch zeigt es eindrücklich: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Wer Lebensmittel richtig kombiniert, kreiert einen besonderen Genussmoment. Bereits die über 300 Brotsorten der Schweiz eröffnen unzählige Kombinationen – zu jeder Mahlzeit und in alle Geschmacksrichtungen.
Doch um zu wissen, welches Brot mit welcher Speise zur genussvollen Symbiose wird, braucht es umfangreiche sensorische Fertigkeiten und vertiefte Kenntnisse der Brot- und Esskultur. Analog zum klassischen Sommelier beim Wein vermittelt die Ausbildung zum Brotsommelier alle Aspekte rund um Brot – von der Geschichte über die Systematik des Food Pairings bis zur Aromalehre und den Grundlagen der Sensorik.
Der Brotsommelier hat die gesamte Wertschöpfungskette im Blick: Er kennt die Arbeit der Züchter, versteht die Herausforderungen der Landwirte, weiss um die Kunstfertigkeit der Müller und würdigt das Handwerk der Bäcker. Diese ganzheitliche Perspektive erlaubt es ihm, die einzigartigen Charakteristika jeder Brotsorte zu interpretieren und den Genuss zu perfektionieren.
So schliesst sich der Kreis vom Korn zum Brot und wieder zurück zum bewussten Geniessen. Jeder Biss in ein frisches, knuspriges Stück Schweizer Brot erzählt die Geschichte einer durchdachten Wertschöpfungskette, in der jedes Glied zur besonderen Qualität beiträgt. Vom Saatgutzüchter, der heute schon an übermorgen denkt, bis zum Brotsommelier, der die Aromen eines Laibes zu entschlüsseln weiss – sie alle zusammen machen Schweizer Brot zu dem, was es ist: Ein Stück Lebensqualität mit Tradition und Zukunft.
