Nachhaltigkeit, die sich auszahlt
Es ist 17 Uhr in einer kleinen Quartierbäckerei. Die letzten Brote und Backwaren liegen noch in der Auslage. Der Bäcker weiss: Einiges davon wird übrigbleiben. Doch wie lässt sich das vermeiden? Mit dieser Frage beschäftigt sich die gesamte Branche und sucht nach praxisnahen Lösungen im Kampf gegen Food Waste.
Die Zahlen sind alarmierend: 2,8 Mio. Tonnen Lebensmittelabfälle werden in der Schweiz jährlich weggeworfen. Das sind 330 kg pro Person und Jahr. Diese Lebensmittelverschwendung führt zu unnötigen CO₂-Emissionen, Biodiversitätsverlust sowie Land- und Wasserverbrauch. Entsprechend hat sich der Bundesrat das ehrgeizige Ziel gesetzt, die Menge an vermeidbaren Lebensmittelverlusten in der Schweiz bis 2030 gegenüber 2017 zu halbieren. Ein Aktionsplan, der alle Akteure der Wertschöpfungskette betrifft, da es vom Acker bis zum Teller Lebensmittelverluste gibt. Doch gerade bei Brot und Backwaren steht die Branche in der Verantwortung, zumal sie vor einem Dilemma steht: Einerseits sollen die Regale bis Ladenschluss gut gefüllt sein, andererseits entsteht so auch viel Überschuss. Doch wie können Bäckereien Food Waste reduzieren, ihre CO₂-Bilanz verbessern und gleichzeitig wirtschaftlich arbeiten? Antworten darauf gab der Event „Nachhaltigkeit, die sich auszahlt – Food Save Management Bäckerei-Confiserie“, organisiert von Pistor, United Against Waste und dem Schweizer Bäcker-Confiseurmeisterverband (SBC).

Pilotprojekt und das 4V-Prinzip
Ein erfolgreicher Ansatz zur Reduktion von Lebensmittelabfällen ist das sogenannte 4V-Prinzip –Verantwortung, Verringern, Vermeiden und Verwerten. Es beginnt mit der Verantwortung: Wer Food Waste reduzieren will, muss genau hinsehen, Messungen durchführen und das Team sensibilisieren. Hier setzt das Konzept von United Against Waste an, das aktuell von sechs Betrieben im Pilot umgesetzt wird. „Viele Bäckereien haben unterschätzt, wie viel Abfall sie tatsächlich produzieren, vor allem in der Produktion“, weiss Projektleiterin Sonja Maurer. „Sie dachten, sie seien schon nachhaltig unterwegs – aber die Zahlen aus der Ist-Messung haben ihnen die Augen geöffnet.“ In einem nächsten Schritt geht es darum, die richtigen Stellschrauben zu finden, um den Abfall aktiv zu verringern. „Auch hier ist der Blick von Aussen wichtig“, sagt Maurer. Denn: „Für manche Prozesse ist man intern zu betriebsblind und verschenkt so wertvolle Ressourcen.“ Dabei könne beispielsweise durch eine einfache Schulung viel Mehlstaub reduziert und Rüstabfälle minimiert werden.

Auch das Sortiment spielt eine Rolle – hier kommt das dritte V ins Spiel: das Vermeiden. Eine gezielte An-passung des Angebots sowie der Einsatz von intelligenten Bestellprognosen helfen, Überproduktion zu verhindern. Auch die Wahl nachhaltiger Zutaten kann helfen, Ressourcen zu schonen. So setzen einige Bäckereien bereits auf Ei-Alternativen wie EggField, das Hühnerei in Rezepturen ersetzt und so den CO₂-Fussabdruck sowie die Abhängigkeit von tierischen Produkten reduziert. Dies trägt nicht nur zur Nachhaltigkeit bei, sondern hilft auch, Produktionsrisiken zu minimieren – ein wichtiger Schritt hin zu einem zukunftsfähigen Sortiment.


Kreativ Verwerten oder sinnvoll weitergeben
Doch selbst wenn Überschüsse entstehen, gibt es Lösungen. Anstatt unverkaufte Backwaren einfach zu entsorgen, können sie kreativ verwertet werden, zum Beispiel in Form von Paniermehl oder als Basis für neue Patisserieprodukte. „Die beste Lösung ist, erst gar keine Überschüsse zu haben. Aber wenn doch, dann sollte man sie sinnvoll nutzen,“ sagt Sonja Maurer. Dazu gehöre auch das Spenden an Orga-nisationen wie Tischlein deck dich oder die Weitergabe an die Ässbar. Weiter ermöglichen Plattformen wie Too Good To Go oder Go Nina, den Überschuss doch noch zu verkaufen, wenn auch vergünstigt. Wichtig dabei: Der administrative und logistische Aufwand für die Bäckerei muss möglichst gering sein. „Mit Go Nina bieten wir eine einfache und flexible Lösung für Bäckereien – ohne fixe Kosten und mit voller Transparenz. Die Betriebe entscheiden selbst, welche Produkte sie rabattiert in die Wundertüten packen, was auch für kleine Betriebe mit wenig Aufwand umsetzbar ist,“ sagt Matthieu Ochsner von Go Nina.

Künstliche Intelligenz als Game Changer
Bei der Fülle an Massnahmen gegen Food Waste rückt vor allem die Vermeidung von Überschuss immer stärker ins Zentrum, da sich die Entwicklung von KI-gestützten Prognosesystemen enorm beschleunigt hat. Während früher die Nachfrage oft auf Erfahrungswerten und groben Schätzungen basierte, ermöglichen heute intelligente Algorithmen eine präzisere Bedarfsplanung. Diese Innovation ist ein echter Game Changer für die Bäckereibranche: Durch exakte Vorhersagen können Bäckereien nicht nur ihre Produktion optimieren, sondern auch unnötige Lebensmittelverluste drastisch reduzieren. So bietet Go Nina den Bäckereien nicht nur eine Lösung für den Überschuss-Markt, sondern auch eine KI-basierte Nachfrage¬prognose. „Die Kombination rechnet sich doppelt. Indem wir die Überproduktion minimieren und gleichzeitig Restbestände effizient weitervermitteln, schaffen wir eine Lösung, die sich ökologisch und ökonomisch auszahlt“, erklärt Ochsner.

Auch andere Lösungen setzen auf künstliche Intelligenz, um den Kampf gegen Food Waste effizienter zu gestalten. Delicious Data beispielsweise analysiert Verkaufszahlen, Wetterdaten und kalendarische Ereignisse in Echtzeit, um eine noch genauere Planung zu ermöglichen. Dabei geht es nicht nur darum, Überproduktion zu vermeiden, sondern auch das gesamte Umsatzpotenzial optimal auszuschöpfen. Denn mit präzisen Prognosen können Bäckereien im Tagesverlauf flexibel nachproduzieren, wenn sich zeigt, dass bestimmte Produkte besonders gefragt sind. „Mit unserer KI-Lösung können wir den Brotbedarf pro Tag erstaunlich genau vorhersagen – das reduziert die Überproduktion um bis zu 30 % und hilft gleichzeitig, Engpässe zu vermeiden“, sagt Django Bola von Delicious Data. Der viertelstündliche Abgleich mit dem Kassensystem sorge zudem dafür, Umsatzpotenziale frühzeitig zu erkennen, so dass keine Verkäufe verloren gehen. „Wer seine Produktion gezielt steuert, reduziert nicht nur Abfall, sondern steigert auch die Wirtschaftlichkeit“ so Bola. Diese technologischen Fortschritte zeigen, dass der Schlüssel zur Vermeidung von Food Waste nicht nur im Umgang mit Überschüssen liegt, sondern vor allem in einer besseren Planung, die Verluste vornherein verhindert und den Umsatz optimiert.

© Schweizer Brot
Was können Konsumenten tun?
Beim Kampf gegen Food Waste können alle mithelfen. Denn viele Haushalte werfen regelmässig Brot weg, weil sie zu viel gekauft oder es nicht rechtzeitig verbraucht haben. Wer bewusst einkauft, also Brot nur nach tatsächlichem Bedarf kauft, trägt bereits viel dazu bei, dass weniger Lebensmittel weggeworfen werden. Auch die Wahl von Bäckereien, die auf nachhaltige Labels und Zertifikate setzen, kann einen Unterschied machen. Ein wichtiges Zeichen für mehr Nachhaltigkeit ist das Food Save Management Zertifikat, das Bäckereien erhalten, die sich aktiv für die Reduktion von Lebensmittelabfällen engagieren. Wer gezielt solche Betriebe unterstützt, trägt dazu bei, dass sich nachhaltiges Wirtschaften für das lokale Gewerbe langfristig auszahlt. Zudem lohnt sich ein Blick auf die Herkunft der Zutaten. Dank der Herkunftsdeklaration erkennt man sofort, woher Brot und Feinbackwaren stammen. Sonja Maurer ist überzeugt: „Wenn wir alle unseren Beitrag leisten – von der Produktion über den Verkauf bis hin zum bewussten Konsum – können wir die Ziele zur Halbierung von Lebensmittelverlusten erreichen. Nachhaltigkeit beginnt bei jedem Einzelnen und zahlt sich für alle aus – für die Umwelt, für die Betriebe und für uns als Gesellschaft.