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Ein Bäcker und ein Koch

Lass dich mal aufs Korn nehmen

Der Wauwiler Eigenbrötler und der «Reussbad»-Koch verstehen sich prächtig. Sie stellen ihre Produkte ins Rampenlicht; dabei spielen Preise eine Nebenrolle.

Erich Büchler

Die Strassen von Wauwil sind früh am Morgen menschenleer. Nur selten kreuzt ein Auto meinen Weg. Auf der rechten Strassenseite beleuchten die Lichter von Suter’s Millefeuille Café im Wetteifer mit den Strassenlaternen meinen Weg. Im Erdgeschoss des Cafés erkenne ich in den milchigen Fenstern die Umrisse von zwei Bäckerinnen. Hier muss es sein! Doch wo ist der Laden? Nach kurzem Klopfen trete ich in die Backstube ein. Mit einem breiten Lachen streckt mir ein in Blau gekleideter Mann die Hand entgegen. Seine Haare und sein Bart sind zu einem Zopf geflochten. Direkt unterhalb des Kinns ist der Zopf mit einer Haarklemme befestigt. Das muss er sein: der Eigenbrötler von Wauwil.

Daniel AmreinDie zwei Zöpfe, die Markenzeichen vom Eigenbrötler. © Stefan Bienz

Eine Nische

Daniel Amrein führt mich zum kleinen Tisch in der Backstube. «Ich bin der Dani, machen wir‘s doch einfach. Es spricht sich besser, wenn wir per du sind», hält der bärtige Bäcker fest. Vor fünfzehn Jahren übernahm Daniel Amrein, genannt Eigenbrötler, die traditionelle Bäckerei von seinem Vater. Daniel Amrein wollte seine Ideen verwirklichen und die Bäckerei radikal verändern. Keine Backmischungen, vermehrt Bioprodukte und zurück zum Ursprung des Backens. Er vermietete das Café im oberen Stock an einen Bäckerkollegen, schloss den Laden und vergrösserte die Produktion. Seine Bäckerkollegen backen jeden Morgen ein bis zwei Mal und abends auch noch. Doch der Eigenbrötler drehte den Spiess um, pflegt seine Teige und stellt jede Füllung und Konfitüre für seine Backwaren selber her. Er kauft ganze Brotkörner ohne Spelzen direkt beim Müller. Lässt die edlen Körner im Wasser quellen und stellt selber Brühstücke her. Brühstücke dienen zur Verquellung gröberer Brotbestandteile (z.B. Körner, Saaten, Schrote), um den Kaueindruck und die Frischhaltung des Brotes zu verbessern. Für ein Brühstück werden Körner mit kochendem Wasser im Verhältnis eins zu eins vermischt und mindestens fünf Stunden gequollen. Diesen zusätzlichen Aufwand nimmt der Eigenbrötler gerne in Kauf. «Unsere Brote sind durch die lange Triebführung länger haltbar. Der Kunde kauft bei uns zwei Mal in der Woche Brot. Das wird nicht warm verkauft, sondern bleibt einfach länger frisch», erklärt Daniel Amrein mit einem verschmitzten Lächeln.

Die Stadt ist weiter

«Von überall wird den Bäckern in den Mund gelegt, dass nur warmes Brot frisches Brot sei. Mit unserer Produktion und unserem Erfolg beweisen wir das Gegenteil», hält der Eigenbrötler fest und erklärt: «Wir verkaufen am Wochenmarkt in Luzern am Dienstag und Samstag den grössten Teil unserer Brotproduktion. In Luzern besuchen uns viele Stammkunden, die nur Brot bei uns kaufen. Dabei spielt der Nachhaltigkeitsgedanke bei den Marktbesuchern, meist Stadtbewohnern, eine grosse Rolle. Das Brot wird geplant eingekauft und reicht bis zum nächsten Markt. Das hat nichts mit den ‹Grünen› oder ‹Chörnlipickern› zu tun. Nur gerade 20 bis 30 % unserer Kunden haben eine spezielle Ernährungsform. Es kann auch sein, dass ein Kunde mit einem teuren Porsche vor unserer Produktion hält und das übers Internet bestellte Brot bei uns abholt.» Daniel Amrein dreht an seinem Bart und klemmt ihn unter dem Kinn mit der Haarklemme wieder fest. Er fährt weiter: «Grundsätzlich kommen unsere Kunden aus total unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Eines haben sie gemeinsam: Sie schätzen unsere Bioprodukte, das Handwerk, die lange Haltbarkeit, und Brot wegschmeissen ist ein Tabu.»

Die Eigenbrötler-«Haustiere»

Daniel Amrein erklärt, dass er an vier Tagen in der Woche backt und an einem Tag Halbfabrikate zubereitet. Eigentlich ein schönes Leben. Zwischendurch geniesst er die Freiheit auf einem seiner vier Oldtimer-Töffs. Doch beim Nachfragen kommt die Wahrheit ans Licht. An den restlichen Tagen pflegt er seine Haustiere! Haustiere? Der Eigenbrötler grinst und klärt auf: «Am Sonntag und Montag pflege ich meine Teige. Die brauchen genauso viel Pflege wie ein Hund oder eine Katze. Wir haben fünf verschiedene Sauerteige, die müssen zwei Mal pro Tag mit Mehl und Wasser ‹ernährt› werden. Dann forme ich die Teige und bereite sie für das Backen vor.» «Dann arbeiten Sie doch sieben Tage in der Woche?» «Nein, nebst meinen ‹Haustieren› ist auch viel Platz fürs Töfffahren, und natürlich verbringe ich etliche Zeit mit meiner Lebenspartnerin.»

Daniel Amrein präsentiert seine Brote mit Kartoffeln aus dem Albulatal. © Stefan Bienz

Zu klein für die Grossen

«Wir beliefern nicht jeden», dies erklärt der Eigenbrötler in seiner trockenen Art. «Das heisst nicht, dass wir arrogant sind.» Zum Beispiel wollte ein grosser Comestibler in Zürich das Brot aus Wauwil. Der Eigenbrötler wollte nicht liefern, weil er den Aufwand scheute. In seiner knapp 100 m2 grossen Backstube Brot für einen so grossen Konzern zu backen, ist eine besondere Herausforderung. Nach der vierten Anfrage erstellte der Eigenbrötler eine Offerte mit seiner Preisvorstellung. Der Comestibler winkte ab, der Eigenbrötler war nicht unglücklich. Doch zwei Wochen später luden die Einkaufsleiter des Comestibler den bärtigen Bäcker nach Zürich ein. «Man wurde sich einig, doch ein ‹kleines Detail› blieb offen: Wie kommt das Brot von Wauwil nach Zürich? Für mich wäre es finanziell nicht tragbar, das Brot nach Zürich zu transportieren», hält Daniel Amrein fest. «Der Comestiblerlastwagen hält jetzt in Wauwil und bringt das Brot nach Zürich.» Daniel Amrein wird keine Träne vergiessen, wenn eine Lieferung wegfällt. «Ich will nicht Massen produzieren, denn ab einer gewissen Menge wird es schwierig, meine Qualität, die ich meinen Stammkunden schuldig bin, zu halten.»

Das Brot findet meine Kunden

«Immer wieder kamen Marktkunden zu mir, die nach eigenen Angaben mein Brot besser vertragen als das von anderen Bäckereien. Das überraschte mich», hält Daniel Amrein fest. «Ich konnte mir nicht erklären, warum mein Brot bekömmlicher sein soll als andere?» Mittlerweile ist klar, warum. Die Fachschule Richemont in Luzern hat herausgefunden: Die Langzeitführung des Teiges baut das schwerverdauliche Phytin im Brotgetreide ab. Phytin ist ein Stoff, der den Schädlingsbefall beim Getreide verhindert und oft Verdauungsstörungen verursacht. Dies wurde nun auch wissenschaftlich bestätigt. Jetzt wird empfohlen, vermehrt Sauerteige oder gelagerte Teige herzustellen. «Für uns nichts Neues, wir stellen seit mehr als 15 Jahren diese Brote her», hält der Eigenbrötler fest.

Schluss mit dem Café

Der Eigenbrötler hat eine ausgeprägte Leidenschaft für seine Brote und deren Herstellung. Die Zeit ist nun gekommen, um diese Leidenschaft weiterzuentwickeln. Manchmal sind es fast zu viele Ideen, die dem bärtigen Bäcker im Kopf umherschwirren. «Wir haben dem Mieter des Cafés im oberen Stock gekündigt und bauen um. Auf der einen Seite eine Backstube für glutenfreie Produkte und auf der anderen Seite ein Holzofen. Mein Traum war immer, im Wald auf offenem Feuer in einem Ofen zu backen. Dieser Traum wird nun annähernd in Erfüllung gehen. Rund um den Holzofen wird mein Revier sein», erklärt Daniel Amrein voller Begeisterung, «endlich kann ich mir für meine neuen Brotkreationen Zeit nehmen.»

Keine Berührungsängste mit der Gastronomie

Immer wieder betont Daniel Amrein, dass er nicht grösser werden will. Er überlegt es sich immer zwei Mal, neue Kunden zu beliefern. Durch den Andrang an seinem Marktstand in Luzern erregt er auch in der Gastronomie Aufmerksamkeit. Mittlerweile beliefert er ausgewählte Restaurants und Hotels. Dies nur zu seinen Bedingungen: Der Koch muss sein Brot schätzen und pflegen. Besonders stolz ist er auf die Lieferung ins Fünf-Sterne-Park-Hotel in Vitznau. Nenad Mlinarevic, der Küchenchef und Koch des Jahres 2016, der zu 99 % Schweizer Produkte einsetzt, reserviert in seinem mehrgängigen Menü separat einen Gang für das Eigenbrötler-Brot. «Darauf bin ich besonders stolz», erklärt Daniel Amrein mit einem Leuchten in seinen Augen. In der Stadt Luzern  beliefert der Eigenbrötler das Restaurant Reussbad. Seit Jahren pflegt der 17-Gault-Millau-Punkte-Koch Raphael Tuor eine exzellente Küche. «Mit Raphael verbindet mich eine tolle Partnerschaft», erzählt der Eigenbrötler und hält kurz inne: «Er hat mich nie nach dem Preis gefragt, sondern das Produkt und die Brotqualität in den Mittelpunkt gestellt. Deshalb fahre ich mein Brot oft persönlich nach Luzern, selbstverständlich mit einem meiner Oldtimer-Töffs.»

Das Brot vom Marktplatz

Der Restaurant-Reussbad-Koch lernte den Eigenbrötler, den Bäcker aus Wauwil, auf dem Markt in Luzern kennen und sein Brot lieben. Zwei Profis, die seit mehr als 30 Jahren ihr Erlerntes verfeinern, ohne aber von ihren Grundprinzipien abzuweichen. Ein Stadtluzerner kehrt zu seinen Wurzeln zurück. An vielen Stationen war Raphael Tuor erfolgreich. Nach der Zeit im Restaurant Rigi in Greppen übernahm das Ehepaar Raphael und Marie-Louise Tuor ein schweres Erbe: das Restaurant Adler in Nebikon. Jahrzehntelang führte der «Adler-Seppi» das Restaurant auf höchstem Niveau und war weit über die Kantonsgrenzen hinaus als die kulinarische Adresse bekannt. Mit Bravour stellten sich die zwei der Herausforderung, führten den Betrieb mehr als zehn Jahre und erkochten sich dabei 17 Gault-Millau-Punkte. Vor drei Jahren wagten sie einen weiteren Schritt in ihrer gastronomischen Karriere. Die Umsätze und Renditen im «Adler» stimmten, doch Raphael Tuor wollte ein Restaurant in der Stadt übernehmen.

Raphael und Marie-Louise Tuor
Raphael und Marie-Louise Tuor lieben das Brot vom Eigenbrötler. © Stefan Bienz

Brot, das Massenprodukt

Der Eigenbrötler, beliefert gerade Mal fünf, sechs Gastrobetriebe. Raphael Tuor ist ständig auf der Suche nach Nischenprodukten. Als er in der Zeit des Restaurants Adler das Brot am Marktstand vom Eigenbrötler kaufte, war er begeistert von der Qualität. Kurzum rief er ihn an, um Brot zu bestellen. Wo andere Bäcker die Hände gerieben hätten, stiess Raphael Tuor zuerst auf Ablehnung. «Mein Glück war es, dass dem Eigenbrötler das Restaurant Adler ein Begriff war. Er kannte unsere Betriebsphilosophie, daher konnte er nicht Nein sagen», erklärt Raphael Tuor mit einem Schmunzeln.

Die Kartoffel im Brot

Oftmals ist das Brot auf der Speisekarte im Restaurant Reussbad ein dominanter Bestandteil der Gerichte. Nicht nur zu Salat und Käse! Deswegen entwickelte der Koch zusammen mit dem bärtigen Bäcker ein besonderes Brot: eines mit Kartoffeln aus dem Albulatal. Unförmige kleine Kartoffeln werden wie «Gschwellti» gekocht, dann mit der Schale zerquetscht und zu einem Vollkornbrot verarbeitet. Die genauen Zutaten und die Herstellung sind das Geheimnis des Bäckers. Nur eines finden wir im Keller des Restaurants Reussbad: die rohen Kartoffeln. «Diese Kartoffeln sind eine Rarität. Sie wachsen in sandigen Böden und überraschen den Gaumen mit einem vollmundigen, intensiven Kartoffelaroma. Um die Bergkartoffel auf 1000 Meter über Meer anzubauen, ist viel Handarbeit notwendig. Daher ist der stolze Kaufpreis von 8 bis 20 Franken das Kilo zwar gerechtfertigt, doch ein grosser Kostenpunkt», erklärt Raphael Tuor.

Restaurant Reussbad
Daniel Weltin und Vereina Nobs haben die Rezepte im Kopf. Nur wenig wird aufgeschrieben. © Stefan Bienz

Der Gegensatz

«Das Brot ab Stange vom normalen Bäcker braucht intensive Pflege und Planung. Das heisst, wenn wir das Brot morgens früh warm erhielten, war das Brot bis am Mittag knusprig. Am Nachmittag wurde es langsam trocken und am Abend konnten wir bereits Paniermehl daraus herstellen. Das ist natürlich ein bisschen überspitzt erklärt. Doch das Brot vom Eigenbrötler wird nach ein bis zwei Tagen besser und geschmacksvoller», klärt uns Raphael Tuor auf. Die wöchentliche Brotlieferung gefriert die Küchencrew des Restaurants Reussbad ein. Das Brot ist bis zu dreiviertel gebacken und wird täglich nach den Vorgaben des Bäckers fertiggebacken.

Am freien Tag auf Einkaufstour

Was einige grosse Küchenchefs an die grossen Glocke hängen, läuft bei den Tuors im stillen Kämmerlein ab. An den freien Tagen besucht das Ehepaar Bauern, Gemüseproduzenten und natürlich dienstags und samstags während ihrer Pausen den Markt in Luzern. Der grösste Teil der frischen Lebensmittel, die auf der Karte stehen, stammen aus biologischem Anbau. «Wir deklarieren das nicht, weil wir das nicht immer zu 100 Prozent garantieren können», erzählt Raphael Tuor. Das Fleisch wird sorgfältig ausgesucht. In Hohenrain werden Wagyu-Rinder gezüchtet. Der Küchenchef besucht den Bauern und wählt sein Kalb aus, das er dann Wochen später geschlachtet erhält. Aber nicht nur Filets und Nierstücke. Nein, da wird das ganze Tier verwertet. «Das steht im Fokus unserer Planung und Grundhaltung», erklärt der Küchenchef und zeigt stolz auf die braune, leicht simmernde Brühe mit Knochen und Gemüse auf dem Kochherd. «Daraus gibt’s die Grundsauce für unsere Fleischgerichte.»

Raphael Tuor, Restaurant Reussbad © Stefan Bienz

Aussergewöhnlich

Dass Bäcker und Köche zusammen so gut harmonieren wie der Eigenbrötler und der «Reussbad»-Koch, hat viel mit dem Respekt gegenüber Lebensmitteln zu tun. Hier wird nicht über Preise oder Aktionen gefeilscht, sondern die Qualität der Lebensmittel diskutiert, und diese liegt beiden am Herzen. Der Preis spielt da eine untergeordnete Rolle.

EIGENBRÖTLER BACKWERKE GmbH
Daniel Amrein, Dorfstrasse 10, 6242 Wauwil
www.eigenbroetler.info

RESTAURANT REUSSBAD
Brüggligasse 19, 6004 Luzern
www.reussbad-luzern.ch