Vermeiden & Verwerten
In seiner Bäckerei gehe es beim Thema Nachhaltigkeit um mehr als um Food Waste, so Alexander Reinhard, Geschäftsleiter der Berner Unternehmung Reinhard AG, Bäckerei Konditorei Café. Das Label «Mir häbe Sorg» fasst die verantwortungsvolle und umweltfreundliche Haltung ganzheitlich zusammen.
«Ich wurde nachhaltig geprägt» fasst Alexander Reinhard, Geschäftsführer der Berner Unternehmung Reinhard AG, seine Grundhaltung im doppelten Sinne zusammen. «Umfeld, Familie, Freunde – sie alle haben mir den verantwortungsvollen Umgang mit unseren Ressourcen mitgegeben». Der Geschäftsleiter des Familienbetriebs in vierter Generation sitzt uns im Besprechungszimmer am Produktionsstandort in Bolligen gegenüber und erzählt: «Schon mein Urgrossvater wusste, dass sich Verschwendung nicht rechnet. Im Jahr 1909 gab einfach noch keinen Begriff dafür. Heute ist ‹Food Waste› in aller Munde und Teil unserer Nachhaltigkeitsstrategie ‹Vermeiden & Verwerten›, die unter dem Label ‹Mir häbe Sorg› vier Bereiche umfasst. Neben Food Waste gehören auch Energieeffizienz, Verpackung und lokaler Einkauf dazu.»
Lokale Wertschöpfung: 100 Prozent Bern
«Als lokaler Betrieb versuchen wir möglichst alles regional einzukaufen», erklärt Alexander Reinhard den ersten Pfeiler. Besonders beim Mehl setzt die Reinhard AG konsequent auf regionale Qualität, eng verbunden mit der Landwirtschaft. «Unser Brotsortiment stellen wir handwerklich in unserer Backstube in Bolligen aus ‹100 % BERN›-Mehl her. Das Label steht für reines Berner Mehl, ausschliesslich von Berner Landwirten geliefert. Die IP-SUISSE Qualität steht für Umweltschutz und Biodiversität. In der Mühle Burgholz AG in Oey-Diemtigen wird das Getreide zu Mehl vermahlen. Das ergibt eine sinnvolle Wertschöpfung mit kurzen Transportwegen – immerhin beträgt unser Bedarf rund 360 Tonnen Mehl pro Jahr», erklärt Alexander Reinhard und zeigt auf die bedruckten Brotbeutel, auf denen in berndeutschem Dialekt steht: «Chüschtigs vo hie. Hie gwachse, hie gmahle, hie bache.» Die perfekte Überleitung zum zweiten Pfeiler der Strategie; die Verpackung.
Verpackung mit Mehrwert
«Bei der Verpackung stellt sich im Endeffekt immer die Frage: Stimmt die Ökobilanz? Dazu gehören Überlegungen wie «Was packen wir ein?» und «Womit packen wir ein?» Alexander Reinhard legt die verschiedensten Taschen und Beutel auf den Tisch, darunter auch Naturesse-Verpackungen, deren Materialien auf schnell nachwachsenden Rohstoffen pflanzlichen Ursprungs basieren. Die grössere Herausforderung sei Mehrweg. «Hier stehen Glas oder wiederverwendbarer Kunststoff zur Wahl. Aber wie oft muss ich diesen Glasbehälter verwenden respektive waschen, bis die Ökobilanz stimmt?» Keine rhetorische Frage, sondern eine, deren Beantwortung viel Zeit und Engagement verlangt und immer wieder neu beurteilt werden muss. «Wir können und wollen niemanden zu klimaverbessernden Massnahmen zwingen. Aber die Leute sensibilisieren, das können wir.» Er zeigt eine Stofftasche: «10 Rappe Täsche» steht auf der einen und «lädele, buggle, schnouse» (einkaufen, tragen, naschen) auf der anderen Seite. Vertikal, etwas kleiner steht der Slogan «Mir häbe Sorg.» «Diese Baumwolltasche ist eine Erfindung von uns: Jeder Einkauf mit ihr in einer unserer Filialen kostet zehn Rappen weniger – unabhängig vom Warenwert», erklärt Alexander Reinhard die Idee. «So schubsen wir unsere Kundschaft sympathisch in die richtige Richtung» schmunzelt er.
Verwertungskette und 2-2-2-Konzept
Apropos Kundschaft: «Wir sind ein wirtschaftliches Unternehmen und da möchten wir natürlich auch für jedes Produkt, das wir herstellen, Geld erhalten.» Leider sei die punktgenaue Produktion nicht so einfach, weshalb es am Ende des Tages darum gehe, die übriggebliebenen Produkte optimal zu verwerten. «Unsere Lebensmittel sollen nie im Abfall landen», betont er und erklärt die ideale Verwertungskette. «Nach Ladenschluss dürfen sich die Mitarbeitenden bedienen. Geeignete Produkte spenden wir der Organisation ‹Tischlein deck dich› oder geben Sie der Ässbar zum Verkauf am zweiten Tag weiter. Für ungekühlt haltbare Produkte habe ich gemeinsam mit Thomas Glatz von der ebenfalls in Bern ansässigen Bäckerei Glatz das Konzept ‹Am 2. Tag die 2. Chance für 2 Franken› entwickelt». Das gemeinsame Ziel: Die Verwertung von übrig gebliebenen Backwaren in Tierfutter und Biogas zu reduzieren. «Wir geben viel Liebe und Herzblut in unsere Produkte und möchten die Menschen damit begeistern. So ist es auch eine emotionale Geschichte, wenn etwas übrigbleibt.» Speziell am 2-2-2-Konzept sei die positive Kommunikation, mit der sie ein Zeichen gegen die Verschwendung und für die Verantwortung setzen sowie die Um- und Mitwelt schonen wollen. 120 bis 150 Einheiten seien es täglich. «Die Produkte sind in Sichtstreifen-Beutel verpackt, damit die Kundschaft erkennen kann, was sie kauft.» Die Backwaren erscheinen so im besten Licht – auch dank der stromsparenden LED-Beleuchtung in allen Filialen, womit wir beim vierten Pfeiler angelangt sind, der Energieeffizienz.
Voller Energie in die Zukunft
Die LED-Beleuchtung in allen Filialen ist nur eine von vielen Energiesparmassnahmen, die in der Bäckerei Reinhard nach und nach umgesetzt wurde. Bereits vor zehn Jahren entschied man sich, auf fossile Brennstoffe zu verzichten und auf nachhaltigen und lokalen Wasserstrom aus Bern umzusteigen. Mit diesen Veränderungen kamen viele andere. «Bei unserem hohen Stromverbrauch war eine eigene Photovoltaikanlage ökologisch wie auch ökonomisch sinnvoll» sagt Alexander Reinhard. «Gemeinsam mit zwei benachbarten Unternehmen haben wir in enger Zusammenarbeit unsere Flachdächer an der Gewerbestrasse in Bolligen mit insgesamt mehr als 2600 Solarmodulen ausgestattet.» Zusammen produzieren die Anlagen etwa 1,2 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr. «Als stromintensiver Betrieb mit vielen Backöfen, Tiefkühlern und einer Flotte aus Elektrofahrzeugen nutzen wir den selbst produzierten Strom optimal.» Alexander Reinhard rechnet gar mit einem Eigenverbrauch von etwa 90 % des erzeugten Stroms. «Stromkosten senken und die eigene CO2-Bilanz verbessern – was will man mehr?» fragt er verschmitzt und ergänzt: «Wir werden die Entwicklungen im Bereich erneuerbarer Energien und Umweltschutz weiterhin aufmerksam verfolgen und uns für eine nachhaltige, umweltfreundliche Zukunft engagieren.»
Die Reinhard AG hat ihren Hauptsitz und die Backstube in Bolligen (BE), beschäftigt rund 170 Personen und hat 8 Verkaufs- und Gastrostandorte in der Region Bern. Im Jahr 2022 erhielt der Betrieb den Gesundheitsförderungspreis Artisana Award. Ausgezeichnet werden Unternehmen, die im Bereich Betriebliche Gesundheit ein besonderes Engagement zeigen und dabei auch Wert auf Nachhaltigkeit legen.