Mirjam Hauser: «Jeder Verkaufsort ist ein Ort der Begegnung.»
Trend- und Konsumforscherin Mirjam Hauser äussert sich im Interview mit «panissimo» zur Zukunft des Brotes und über das künftige Verhalten der Konsumentinnen und Konsumenten. An Wichtigkeit zunehmen werden der Verkauf und die Kommunikation.
Wo kaufen die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten künftig ihr Brot ein?
Es wird nicht den Ort geben, genauso wenig wie es den Konsumenten geben wird. Nach wie vor kaufen viele Konsumenten regelmässig ihr Brot im Supermarkt, und das wird auch in den nächsten fünf bis zehn Jahren so bleiben. Aber es gibt Tendenzen einer Verlagerung weg vom Supermarkt hin zum Online-Einkauf. Hiervon profitieren in der Schweiz aber grösstenteils die etablierten Detailhändler (Coop, Migros). Auf der anderen Seite beobachten wir ein Revival der Markthallen und auf bestimmte Bedürfnisse zugeschnittenen Fachhändler, die ganz gezielt Nischen besetzen (handgeknetetes Brot, veganes Brot usw.), und häufig offline mit online kombinieren.
In einer Studie schreiben Sie, dass ein neues Essbewusstsein um sich greift. Welches sind die markantesten Änderungen?
In der Schweiz, aber auch in Europa und Nordamerika, gibt es seit längerer Zeit eine grosse Unzufriedenheit mit dem Lebensmittel-Angebot. Viele haben den Bezug zur Lebensmittelherstellung immer mehr verloren, aber auch das Vertrauen in die heutzutage jederzeit und überall verfügbaren Lebensmittel. Konsumenten hinterfragen das aktuelle Ernährungsangebot und möchten wieder wissen, was, wo und wie hergestellt wurde und wie es den Weg ins Regal gefunden hat.
Deshalb beobachten wir auch ein solches Revival der Markthallen und spezialisierten Fachhändler. Dort können Konsumenten mit den Herstellern ihrer Lebensmittel wieder direkt interagieren, sie erfahren so wer, mit was und in welcher Art und Weise ihr Brot hergestellt hat. Das Interesse liegt beim Produzenten, denn das Gesicht des Herstellers bürgt für die Werte, nach welchen seine Lebensmittel hergestellt werden.
Was bleibt unverändert?
Wie gesagt kaufen heute und in Zukunft viele bei den grossen Detailhändlern ein, weil der Supermarkt immer noch die einfachste, bequemste und darum gängigste Einkaufsform für Lebensmittel und tägliche Gebrauchsgüter ist. Und weil die Händler natürlich auch die Trends aufgreifen und versuchen das angekratzte Vertrauen wieder aufzubauen. Sie tun dies, indem sie die Lieferkette transparenter gestalten, Markt-Atmosphäre in ihre Läden einbauen und
Nischenprodukte für spezielle Anliegen feilbieten.
Und auch wenn es einen Trend zum Selbermachen gibt: Die meisten werden nach wie vor Brot einkaufen und höchstens zu speziellen Anlässen (oder am Wochenende) ihr Brot selber backen. Da helfen auch die smarten Brotbackgeräte nur bedingt, denn das gute Gefühl beim Brotteigkneten geben sie den Konsumenten nicht.
Und das ist wohl ein weiterer wichtiger Aspekt, der in Zukunft erhalten bleibt: Die Unterscheidung zwischen Wochentage und Wochenende (ausser natürlich bei der wachsende Gruppe der Golden Agers, den rüstigen Pensionierten). An Wochentagen muss Essen schnell und bequem eingekauft und zubereitet werden, am Wochenende hat man dann die Zeit und Musse auf dem Markt einzukaufen, neue Rezepte auszuprobieren, Gäste einzuladen.
Wie sehen Ihre Prognosen in den Bereichen Bäckerei-Konditorei und Confiserie aus? Produzieren künftig Roboter unsere Produkte und werden wir von Robotern bedient?
Seit Jahren wird die Lebensmittelherstellung und -verarbeitung immer stärker automatisiert, von daher sind Roboter höchstens eine Erweiterung der gängigen Massenproduktionssysteme. Und dort, wo die Konsumenten primär auf den Preis und Effizienz schauen, wird es auch immer mehr automatisierte Prozesse geben: Online-Einkäufe, Self-Scanning und Self-Checkout-Kassen sind hier erst der Anfang.
Auf der anderen Seite beobachten wir aber auch das Bedürfnis, das Menschliche und insbesondere unserer Sinne wieder zu erleben. Der Gegentrend zur Automatisierung und Roboterisierung sind reale Orte (im Gegensatz zu den virtuellen), wo wir unsere Lebensmittel sehen, riechen, tasten und schmecken können.
Wo sehen Sie die Chancen für die Bäcker-Confiserie-Branche?
Die Stärke der Bäcker-Confiserie-Branche ist ihr immenses Wissen rund um die Herstellung, und das gilt es gezielt einzusetzen. Die Chance liegt darin, diese Handwerkskunst so anzuwenden, dass die Kunden einen spürbaren Unterschied zum Durchschnittsbrot (oder zur Durchschnittspraliné) merken. Und man den Kunden den Unterschied in der Art und Weise der Herstellung, inklusive der Herkunft der Rohzutaten, auf direktem und indirektem Weg mitteilen kann. Natürlich kann man auch auf Masse und Preis setzen, aber dieser Kampf ist gegenüber importierten und Supermarkt-Produkten schwierig zu gewinnen.
Wo befinden sich die Fallstricke?
Wenn es nicht gelingt, diesen Unterschied in der Herstellung spürbar zu machen, lässt sich auch ein höherer Preis nicht rechtfertigen. Es gibt selbstverständlich auch eine Gruppe von Konsumenten, die sowieso ausschliesslich auf den Preis achtet, aber ein Grossteil der Konsumenten achtet auf das Preis-Leistungs-Verhältnis. Hier gilt es auf Qualität zu setzen und diese aber auch entsprechend zu kommunizieren.
Der Verkauf, die Präsentation, die Kommunikation mit dem Konsumenten werden noch an Wichtigkeit zunehmen?
Das wird ein ganz entscheidender Faktor sein! Denn eine Abgrenzung zu billigeren, von Robotern und automatisierten Systemen hergestellten, anonym verkauften Produkten gelingt nur über die Kommunikation. Und dazu gehört, wo die Produkte verkauft werden, wie sie präsentiert werden und selbstverständlich wie ich als Mensch vom Verkäufer behandelt werde. Jeder Verkaufsort ist ein Ort der Begegnung und muss die Geschichte der Produkte auf vielfältige Weise erzählen können. Dabei möchte ich das Technische nicht ausschliessen: Auch wenn ein realer, geschickt inszenierter Einkaufsort die Basis ist, können digitale Angebote im Laden vor Ort (z. B. Tablets, interaktive Screens usw.) oder im Netz die Geschichte weitererzählen oder bestimmte Aspekte der Produktherstellungsgeschichte vertiefen. Transparenz im Sourcing und Herstellung der Produkte ist somit nur die Voraussetzung für Erfolg, sie muss auch verständlich und in kleinen Häppchen erzählt werden können.
Welchen Rat erteilen Sie unseren Branchenmitgliedern?
Erfolg verspricht sicher, wenn man die Vergangenheit und Zukunft geschickt kombiniert. Ich habe es vorhin angetönt: Zuerst sollte man sich vergewissern, was traditionellerweise die Stärken des Betriebs (der Bäckerei) waren – gleichzeitig aber die Trends beobachten, die sich derzeit abzeichnen (z.B. Interesse an Handwerkskunst, am Produzenten usw.), und diese dann zukunftsgerichtet umsetzen. Langfristig nützt es wenig, wenn man den Trends nachrennt und dabei sich selbst nicht treu bleibt.
Welche Städte sind bei den Food-Trends führend?
Das ist eine spannende Frage, denn so klar ist das gar nicht mehr. Food-Trends sind häufig kulturell geprägt, das heisst, was in Shanghai funktioniert, muss in Bern nicht gleich erfolgsversprechend sein. Umgekehrt sind Städte, in denen viele unterschiedliche Kulturen zusammentreffen, interessant, denn hier entstehen Anpassungen traditioneller Speisen auf neue Zielgruppen (so z.B. in New York, San Francisco, Vancouver, London usw.). Umgekehrt ist Europas Norden ein gutes Beispiel für die Rückbesinnung auf die Stärken ihrer lokalen Esskultur, aber neuinterpretiert auf die heutigen Bedürfnisse (z.B. die Torvehallerne in Kopenhagen oder die Markthal Rotterdam). Und nicht zu vergessen ist das Silicon Valley, welches in den letzten Jahren vermehrt Food-Tech-Start-Ups hervorgebracht hat.
Welches ist das Gebäck und die Patisserie der Zukunft?
Das Gebäck oder die Patisserie wird es nicht geben. Aber wenn man auf den Trumpf Qualität und Handwerkskunst setzt, sich sowohl den lokalen Gegebenheiten anpasst als auch Trends aufgreift, wird die Kundschaft dankbar sein. Es kommt aber auch darauf an, wo die Bäckerei liegt (Stadt oder Land? Bahnhofsnähe oder Peripherie? Wohngegend oder Geschäftsviertel usw.) und welche Kunden sie bedienen möchte. Allgemein gehen die Trends in Richtung Natürlichkeit, Regionalität, Wiederentdecken alter Traditionen und Getreidesorten, aber auch Gesundheit und Convenience – wobei das Sandwich wohl eines der Produkte ist, welches alle Trends gleichzeitig aufgreifen kann!
Dr. Mirjam Hauser, Senior Market Researcher bei GIM Suisse AG, Gesellschaft für innovative Marktforschung, beobachtet und analysiert Veränderungen von Gesellschaft, Wirtschaft und Technologie mit dem Fokus auf Werte, Konsumverhalten und Konsumpsychologie. Sie hat an den Universitäten Zürich und Granada Sozial- und Wirtschaftspsychologie, Politik- und Medienwissenschaften studiert und am Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) sieben Jahre Mega- und Gegentrends erforscht sowie Zukunftsszenarien entwickelt. Parallel zum GDI erarbeitete sie an der Universität Zürich ihre Dissertation zu Wirkungszusammenhängen essspezifischer Werte, Einstellungen und Konsumverhalten, welche sie 2013 erfolgreich abschloss. Sie hat verschiedene Studien für Detailhändler, für die Konsumgüter- und Verpackungsindustrie sowie für Dienstleister und NPOs erarbeitet. Seit 2013 hält sie einen Lehrauftrag am Psychologischen Institut der Universität Zürich zum Thema «Konsumverhalten».