Im Kampf gegen die Verschwendung: Unter dem Claim «frisch von gestern» verkauft das Team der Äss-Bar seit rund 10 Jahren Brot und Backwaren vom Vortag, zu stark vergünstigten Preisen. Eine nachhaltige Erfolgsgeschichte.
Gemeinsam gegen Foodwaste
In Schweizer Haushalten werden pro Person täglich rund 240 Gramm Lebensmittel weggeworfen. Auf den ersten Blick wenig, doch entspricht dies landesweit unglaublichen 778’000 Tonnen jährlich. «Das ist eine Entwicklung der modernen Konsumgesellschaft», sagt Nadja Zehnbauer, die sich bei der Äss-Bar u.a. um das Marketing kümmert: Die Leute seien schlicht zu verwöhnt. Sie haben den Anspruch, jederzeit alles konsumieren zu können. Das führt zu Überangebot und Verschwendung – auch bei Brot und Backwaren. «Für Bäckereien ist es trotz Erfahrung und Kalkulation unglaublich schwierig, den täglichen Bedarf ihrer Produkte abzuschätzen» weiss Zehnbauer. «Gipfeli zum Beispiel: Es gibt Tage, da sind sie um 10 Uhr bereits ausverkauft – und andere Tage, da bleiben sie – ohne ersichtlichen Grund – in der Auslage liegen.» Hier springt die Äss-Bar mit ihrem Konzept ein: Überschüssige Ware der Bäckereien werden nach Ladenschluss kostenlos abgeholt und am nächsten Tag in einer der neun Äss-Bar-Standorten zu stark vergünstigten Preisen angeboten. «Unsere Partner-Bäckereien müssen sich nicht um die Entsorgung kümmern und sind froh, erhalten ihre Produkte eine zweite Chance.» Für die Ware erhalten sie eine Umsatzbeteiligung.
Variables Sortiment – bunte Kundschaft
Das Motto der Äss-Bar – frisch von gestern – bedeutet auch: Das Sortiment richtet sich danach, was bei den Bäckereien übrigbleibt. Je nach Tag, Wetter und Saison wechselt also das Angebot und die Menge. Für die flexible Kundschaft kein Problem. «Wir haben einen bunten Mix von Kundinnen und Kunden», sagt Zehnbauer. «Jene, die aufs Budget achten und wegen der tiefen Preise bei uns einkaufen. Aber auch solche, die mit dem Kauf ihres Znüni, Zmittag oder Dessert etwas gegen die Verschwendung von Lebensmitteln tun wollen.» Tatsächlich erlebt bewusster Lebensmittelkonsum und damit auch die Äss-Bar seit einigen Jahren einen Boom. «Es ist schön zu sehen, dass das Bewusstsein für nachhaltige Lösungen steigt». Die Begriffe «Foodwaste» und «Nachhaltigkeit» seien mittlerweile jeder und jedem geläufig; ob Studierende, Geschäftsleute oder Senioren. So konnte die Äss-Bar seit ihrer Gründung vor rund 10 Jahren auch schnell wachsen. Schweizweit gibt es heute acht Filialen und einen Foodtruck dazu. Wichtig sind dabei attraktive Standorte. «Die Äss-Bar lebt von hoher Kundenfrequenz. Nur deshalb – und dank zahlreicher Workshops – können wir jährlich mehr als 800 Tonnen Foodwaste verhindern.»
Nicht nur Brot und Backwaren
Verkauft werden übrigens nicht nur Brote und Backwaren der Patisserie, sondern auch Sandwiches, Salate und in einem Kühlschrank gelagert Käse und Molkereiprodukte. Seit einiger Zeit verkauft die Äss-Bar auch andere Produkte wie Olivenöl, Honig oder Konfitüre. Zehnbauer: «Diese Produkte finden aus den verschiedensten Gründen den Weg zu uns. Oftmals jedoch, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum zu kurz oder bereits überschritten ist. Doch die Produkte sind tadellos und bringen immer eine wundervolle Abwechslung in unser Sortiment.» Dieses variiert stark von Filiale zu Filiale und wie immer gilt auch hier: «es hät, solangs hät». Natürlich bleiben auch bei der Äss-Bar Reste zurück. Hier gibt es mehrere Ansätze, bevor die Backwaren letztlich zu Biogas werden. «Zunächst dürfen unsere Mitarbeitenden bei Ladenschluss so viel mitnehmen, wie sie wollen» erklärt Zehnbauer. «Dann arbeiten wir gerne auch mit Hilfswerken zusammen, die froh um jede Spende sind. Wir sind aber auch kreativ und überraschen unsere Kundschaft immer öfter mit genussvollem Upcycling.»
Genussvolles Upcycling
Ob Snack, Bier oder Spirituose – mit Altbrot lässt sich kreativ werden. «In Zusammenarbeit mit Partnern aus der Region sind bereits viele genussvolle Upcycling-Ideen entstanden» so Zehnbauer. Die Bread Crumbs Dragées aus der Schokoladen-Manufaktur laflor in Zürich sind so ein Beispiel. «Das Bio-Brot, das bei uns übrig bleibt, wird von Sandro Furnari persönlich in kleine Würfel geschnitten und dann von laflor geröstet und mit feinster Milchschokolade überzogen. Quasi ein knuspriges Schoggibrötli im Miniformat.» Auch das Bier aus Alt-Äss-Brot ist in Zürich entstanden, genauer in der Brauerei Oerlikon, nach drei Jahren Produktentwicklung. «Man sagt, Bier sei flüssiges Brot. Daher werden zehn Prozent des Malzes durch Brot der Äss-Bar ersetzt, was dem Altbier seine malzig-würzige Note gibt», schwärmt Zehnbauer. Auch in Bern sind kreative «Savethefood»-Projekte entstanden. «In Zusammenarbeit mit Hallers brasserie sind die feinen Cräcker «Ligu Lehm» entstanden, was auf «matteberndeutsch» so viel wie «ein Stück Brot» heisst – hergestellt aus altem Brot der Äss-Bar.» Für ein aussergewöhnliches Trinkerlebnis sorgt Plan C, die Brot-Spirituose aus dem Hause Chameleon Liquids. «Plan C wird aus nicht verkauftem Brot der Äss-Bar destilliert und weiter veredelt» sagt sie. «Die Aromen von Steinobst, einer leichten Note von Vanille und Röstaromen verbinden sich zu einer einzigartigen Harmonie.»
Nicht für jedes übriggebliebene Gebäck hat die Äss-Bar eine Lösung. Aber wie man sieht, wird laufend an neuen, genussvollen Upcycling-Produkten getüftelt. «Uns gehen die Ideen nicht aus» schmunzelt Zehnbauer. Wir sind gespannt, was da noch kommt – und bleiben dran.
Die Geschichte der Äss-Bar in der Schweiz begann 2013. Inspiriert von Anti-Foodwaste-Unternehmungen in Deutschland und Frankreich, starteten die Gründer um Sandro Furnari mit dem ersten Standort im Zürcher Niederdorf. Heute findet man die Äss-Bar neben zwei weiteren Standorten in Zürich (inkl. Foodtruck) auch in Basel, Bern, Biel, Luzern und Winterthur sowie in Lausanne via Franchisepartner. Zudem bietet das Unternehmen auch Workshops und Catering an. Insgesamt zählt die Äss-Bar schweizweit rund 100 Mitarbeitende und verhindert jährlich mehr als 800 Tonnen Foodwaste.