Story

Tour de Pain à Berne

Genuss-Rundgang mit dem Brotsommelier

Süss, salzig, sauer, bitter und umami: Patrik Bohnenblust, Bäckermeister, Brotsommelier und Kreativkopf der Bäckerei «Bread à Porter» weiss mit Geschmack umzugehen. Der Beweis: Seine «Tour de Pain» in der Berner Altstadt.

Marlies Keck

Probieren geht über studieren. Eine Devise, wie für Patrik Bohnenblust gemacht. Dabei hat er als geprüfter Brotsommelier eine ganze Aromabibliothek im Kopf und weiss genau, wie Food Pairing funktioniert. Und doch: Das Neue, Überaschende und Unkonventionelle hat es ihm angetan. So kombiniert und experimentiert er mit seinen Brot- und Backwaren für sein Leben gern – immer im Sinne des guten Geschmacks. Wer sich davon überzeugen will, besucht seine Bäckerei «Bread à Porter» und fragt nach, woran er gerade tüftelt bzw. was er «Neues» zu bieten hat. Oder man begleitet ihn bei seiner «Tour de Pain» durch die Berner Altstadt und erlebt während rund 2,5 Stunden besondere Genussmomente – geistreiche Unterhaltung mit Berner Altstadt-, Bäckerei- und Brotgeschichten inklusive. Wir waren im Juli 2023 mit dabei.

Wiss- und Essbegierige mit auf dem kulinarischen Spaziergang von Patrik Bohnenblust. Zum Start gibt es den Zytglogge-Stollen, gereift in der Uhr-Kammer des Zeitglockenturms. © Schweizer Brot

Zytgloggen-Stollen mit Blauschimmelkäse und Tonic Water

Die Tour startet vor einem der wohl bekanntesten Wahrzeichen der Stadt: dem Zeitglockenturm (Zytglogge), wo sich zur vollen Stunde ein aussergewöhnliches Spektakel ereignet – nämlich das mittelalterliche Figurenspiel mit dem tanzenden Bärenzug, dem schelmischer Narr und dem schreienden Hahn. Was für eine Begrüssung – das gibt es nur in Bern! Kein Wunder kredenzt uns Patrik Bohnenblust hier seinen Zytglogge-Stollen. «Wir wollten eine Spezialität kreieren, in der 100% Bern drinsteckt. Ganz nach dem Motto von Bern, in Bern, für Bern.» So seien die Rohstoffe alle aus der Region, auch die Nüsse, der Honig und die Früchte – eingeweicht in Gin von der Matte Brennerei. Für die letzte Prise Bern sorge aber der Zytglogge selbst. «Das «Klack Klack» des Pendels, das im Innern des Turms zu hören ist, widerspiegelt für mich die Berner Gemütlichkeit. Ich kam daher auf die Idee, meinen limitierten und nummerierten Stollen in der Uhrwerk-Kammer vom Zytglogge reifen zu lassen, gleich in der Nische direkt neben dem riesigen Pendel. Ich bin sicher, die historische Ruhe geht in den Stollen über. Und ganz ehrlich: Mehr Bern geht nicht.» Neugierig, was denn zu diesem Stollen passt, überrascht Patrik Bohnenblust mit einem milden Berner Blauschimmelkäse und Tonic Water. «Die süsse, fruchtige und nussige Note des Stollens passt perfekt zur Bitterkeit des Käses. Und wo Gin ist, da ist auch Tonic Water nicht weit» grinst er. Das genussvolle Lächeln der Tour-Gäste ist ihm Bestätigung genug.

Brot mit Käse
Zytglogge-Stollen in Kombination mit Blauschimmelkäse und Tonic Water. © Schweizer Brot

Ankebrötli mit Altstadtterrine und Apfeleistee

Weiter geht es dann zur Münstergasse, der so genannten «Anke-Loube», die ihren Spitznamen den Landwirten aus dem 17. und 18. Jahrhundert verdankt, als sie hier Butter und auch Käse verkauften. Also serviert hier Patrik Bohnenblust sein leicht süssliches «Ankebrötli», das dank der Zugabe von Sirtenrahm (Molke) besonders buttrig schmeckt. Lena, die mit uns an der Tour teilnimmt, ist begeistert. «Dieser Buttergeschmack ist einfach phänomenal. Das will ich auch mal ausprobieren.» Kein Problem, hat sie doch gerade in Saanen bei Gstaad die Ausbildung zur Confiseurin EFZ abgeschlossen und hängt nun noch 1 Jahr für die Fachrichtung Bäckerei an. «Getoastet ist das Ankebrötli gleich nochmal eine Entdeckung» sagt Bohnenblust und hantiert mit dem Bunsenbrenner. Dabei erklärt er: «Die Röstaromen geben dem Ankebrötli eine schöne Caramel-Note, die ideal zur fleischig-herzhaften Altstadtterrine passt. Der fruchtige Apfeleistee rundet dann das Geschmacksbild harmonisch ab.» Das Toastbrot alias Ankebrötli ist aber auch optisch ein Highlight. Tatsächlich ist es eine Art Hommage an die Architektur der Laube, quasi ein Abbild der Decke. «Wir brummen unserem Toastbrot kein Flachdach auf, sondern geben ihm die Freiheit, sich zu entfalten. So entsteht auch mehr Charakter» lächelt er.

Das etwas andere Toastbrot – das Ankebrötli. Getoastet mit der unverkennbaren Caramelnote. © Schweizer Brot

Pläfe-Brot mit Tomaten-Aufstrich und Weisswein vom Hättenberg

Nächster Halt: Pläfe – die historische Plattform des Münsters, von Einheimischen liebevoll «Pläfe» genannt. Die atemberaubende Sicht auf die Aare, die Alpen und das Berner Matte-Quartier machen die imposante Gartenanlage zu einem beliebten Treffpunkt. Genauso imposant: Das riesige Pläfe-Brot. Vielversprechende Aussicht auf grossen Genuss also. Und tatsächlich: In der grossporigen Krume erkennt man den gerösteten Sesam, der dem Brot ein unverwechselbares Umami-Aroma verleiht. Patrik Bohnenblust beschreibt es so: «Die nuss- bis kaffeebraune Kruste gibt uns gute Röst- bis leicht bittere Aromen.» Zusammen mit dem Umami des gerösteten Sesams geniessen wir ein volles Mundgefühl. Eine leichte Säurenote wandelt sich beim Kauen in einen leicht süsslichen Abgang. Der darin enthaltene Weizensauerteig interessiert vor allem Astrid aus Zizers, die genau wie Lena zu unserer illustren Gästeschar zählt. Sie hat das Backen mit Sauerteig während der Corona-Zeit für sich entdeckt, kurzerhand selbst einen Sauerteig angesetzt und ihn «Emil» getauft. «Es ist genial, was man mit Brot alles zaubern kann. Der Sesam, der Umami-Geschmack, einfach herrlich» schwärmt sie.

Mit allen Sinnen dabei: Lena (in blau) und Astrid (in pink) geniessen die Tour de Pain. © Schweizer Brot

Im wahrsten Sinne «ein guter Grund»

Patrik Bohnenblust kombiniert das Pläfe-Brot hier mit einem süsslichem Tomaten-Relish und einem süsslichen, jungen Weisswein. «Das ist ein Vignerons de Berne, ein Weisswein aus Ostermundigen. Dem Hang, wo früher der Sandstein fürs Münster abgebaut worden ist. Der Boden ist immer noch Sandstein und ideal für die Rebstöcke, die ihre Wurzeln durch den porösen Stein tief in den Boden wachsen lassen und so immer genügend Wasser haben.» Typisch Bohnenblust: Keine Zutat, keine Kombination ist zufällig gewählt.

Riesig in jeder Beziehung: Das Pläfe-Brot. Der helle Weizensauerteig mit geröstetem Sesam überzeugt mit unverwechselbarem Umami-Aroma. Hier in Kombination mit Tomaten-Relish und Weisswein. © Schweizer Brot

Junkerbrot mit Cervelat, Senf und einem Junker-Bier

Danach wird es mystisch. Über das unbewohnte Gebäude an der Junkerngasse 54 gibt es nämlich unzählige Spukgeschichten. Unerklärliche Vorgänge, Zauberei, Magie? Das erinnert wieder an das Phänomen «Sauerteig». Wasser und Mehl mischen – schon gehts los. In warmer Umgebung beginnen die Milchsäurebakterien, den einfachen Zucker in Milchsäure umzuwandeln. Lässt man es bei ~28 Grad für ca. 3 Stunden stehen, hat sich das Volumen verdoppelt. Eben: Magisch. Und himmlisch gut. Wie das Junkerbrot, das mit dunklem Weizensauerteig ohne zusätzliche Backhefe mit Langzeitführung gebacken wird. Patrik Bohnenblust erklärt: «Ein Junker war einst ein Mitglied des Adels, allerdings ohne Ritterschlag oder Titel. So auch unser Junkerbrot: ein einfaches Sauerteigbrot, und dennoch irgendwie edel.» Es ist ein urtümliches Brot, ohne viel Schnickschnack, das auch in der Kombination nach einfachen Dingen verlangt. Ideal für einen «Waldfest-Teller» – also Brot mit Cervelat und Senf. «Der kräftig herbe, säuerliche Geschmack mit Noten von reifen Früchten erinnert an einen grünen Wald mit Morgentau», führt er aus. «Mit seinem Aromabild behält es auch in der Kombination mit dem Cervelat die Oberhand, während das kühle Junkerbier der Berner Brauerei Felsenau den Geschmack abrundet.

Einst das Dorfereignis des Jahres – das Waldfest. Heute ein urchiges Zusammenspiel zwischen Junkerbrot, Cervelat mit Senf und Bier. © Schweizer Brot

Münsterstollen, Geissenkäse, Dessertwein

Keine Berner Altstadt-Tour ohne das Münster?! Genau. Doch Patrik Bohnenblust geht nicht auf die architektonische Baukunst oder den 344-stufigen Aufstieg zur Aussichtsplattform ein. Vielmehr auf den Keller des Wahrzeichens. Er erklärt: «Ein Stollen muss kühl und feucht gelagert werden. Bedingungen, wie sie im Keller des 600 Jahre alten Münsters vorherrschen.» Hier könne der exklusive Münsterstollen die Ruhe und die ganze Kraft des Berner Münsters aufsaugen. Apropos aufsaugen: «Wir haben lange philosophiert, bis wir den passenden Rum, den Plantation 69% old fashioned traditional dark Rum, gefunden haben, der seine grossartigen Aromen an die reichhaltige Früchtemischung abgibt» so Bohnenblust. Und wirklich: Schon in der Nase nehmen wir die Früchte und das exklusive Rum-Aroma wahr. Im Biss entfalten sich dann die saftig-fleischigen Früchte mit den festen Mandeln. Hinzu kommen die feinen Nuancen von Bittermandeln und eine Zitrus-Note. Ähnlich wie beim Zytglogge-Stollen kombiniert Patrik Bohnenblust den Münsterstollen mit einem charaktervollen Käse – ein Geissenkäse, der dem Stollen die Süsse nimmt – die sich mit einem Schluck Dessertwein gleich wieder im Gaumen entfaltet. Ein richtiger Tanz der Aromen.

Die Genussempfehlung von Patrik Bohnenblust: Ein zarter Ziegenfrischkäse, dessen leichte Säure und fruchtig-nussige Aromen den Münsterstollen hervorragend ergänzen und ein süsser Dessertwein dazu, der sich mit der Süsse des Stollens vereint. Danach geht’s weiter zur letzten Station – für uns zu Fuss, für Patrik Bohnenblust mit dem Velo. © Schweizer Brot

Bsetzi-Brot, Greyerzerkäse und Milchkaffee

Zum Abschluss geht es in die offene Backstube von «Bread à porter», der letzten in der Berner Altstadt backenden Bäckerei, wo wir an diversen Sauerteig-Proben schnüffeln dürfen. Patrik Bohnenblust erklärt: «Fast wäre die Kunst des Brotbackens mit Sauerteig in Vergessenheit geraten. Zum Glück wird heute wieder vermehrt darauf geachtet – für mehr Bekömmlichkeit und Lebensqualität.» Zwar seien auch langgeführte Sauerteigbrote nicht frei von Gluten oder Fodmaps. Jedoch werde Eiweiss und Zuckerstoffe aufgrund des langen Fermentationsprozesses vorverdaut und abgebaut. «Dadurch erhöht sich die Verträglichkeit der Backware und ihr glykämischer Index wird gesenkt.» Doch genug der Theorie – wir sollen unsere Nase in die unterschiedlichsten Sauerteige halten. Weizen, Roggen oder Dinkel? Die Unterschiede sind riech- und schmeckbar. Doch gebacken schmeckt es uns (noch) besser, weshalb wir uns genüsslich dem «Bsetzi-Brot» widmen, dem dunklen Weizenmischbrot mit Roggen-Sauerteig. «Die Würfelform erinnert an die währschaften Bsetzisteine in den Altstadtgassen von Bern» sagt Bohnenblust und ergänzt grinsend: «Handwerk, wie vom Steinmetz.» Das charaktervolle Brot passe ideal zu einem rezenten Käse, wie Greyerzer oder Camembert und – je nach dem – ein Milchkaffee oder kräftiger Wein.
Satt, glücklich und voller Ideen für die nächste eigene «Brot-Zeit» zuhause gibt es für alle noch ein Mitbringsel aus der Backstube zum Mitnehmen. «Bread à porter» wie Bohnenblust verschmitzt zum Besten gibt. Wir sagen Danke und freuen uns auf ein Wiedersehen mit dem Berner Brotsommelier.

Sauerteig – für Patrik Bohnenblust die «Seele der Bäckerei». Entsprechend gehört das Sauerteig-Schnüffeln zu seiner Tour de Pain dazu. © Schweizer Brot