Geteiltes Brot, vielfache Freude
Mehr als eine Nebensache: Für Restaurants wird das zum Essen gereichte Brot immer mehr zum Erfolgsfaktor. Brot-Sharing, geteiltes Brot am Tisch, ist eine Möglichkeit, Gäste mit Ungewohntem zu überraschen.
Erklären muss man das Konzept des Restaurants Igniv eigentlich nur noch wenigen Menschen. Egal, ob zwei, drei, vier oder fünf Personen in einem der Ignivs in Bad Ragaz, St. Moritz oder neuerdings Zürich speisen, sie bekommen pro Gang mehrere Teller auf den Tisch gestellt, von denen sich alle bedienen können. Der eine nimmt etwas mehr, der andere lässt etwas aus: Am Ende sind fast immer alle glücklich. Auch beim Brot, das – wie die hausgebackene Baguette oder die zur Vorspeise gereichte Brioche – wie gemacht ist zum Teilen.
Übers Sharing in der Gastronomie reden derzeit viele – auch dank solcher Konzepte. Der Trend zum Teilen ist zwar in der mitteleuropäischen Spitzengastronomie vergleichsweise neu, in den Ausgehkulturen anderer Länder aber fest verankert. Libanesische Restaurants etwa wären ohne die vielen Teller im Rahmen der sogenannten Mezze undenkbar. Eine grosse Portion duftendes Fladenbrot gibt es hier für alle, nach Bedarf wird Nachschub gebracht.
Ein Baguette Rustico mit Oliven und getrockneten Tomaten zum Apéro. (Bild: Verein Schweizer Brot)
Das Brot wird zur Attraktion, über die gesprochen wird
Ganz so weit wie die Gourmets in Beirut oder die Igniv-Besucher treibt es freilich nicht jeder Gastronom. Muss er ja auch nicht. Doch auch dort, wo weiterhin ein gefüllter Teller pro Gang und Gast serviert wird, bietet das geteilte, in die Mitte des Tisches gestellte Brot Gelegenheit, die traditionelle Art des Geniessens zumindest ein bisschen aufzubrechen. Alle greifen zu, eine womöglich steife Atmosphäre wird gelockert, für Gesprächsstoff ist gesorgt. Sharing von Brot bedeutet zudem fast automatisch, dass sich der Wirt mit der Präsentation beschäftigt; einfach einen Teller mit vorgeschnittenen Scheiben zu verabreichen, wäre eine Vergeudung von Möglichkeiten. Das Restaurant Ecco in Ascona präsentiert dagegen sein tiefbraunes Malzbrot schon seit vielen Jahren als Zeremonie zu Beginn des Mahles – in einem Kästchen, in Begleitung von Kresse, die alle Gäste je nach Laune mit einer Schere selbst aus dem Beet schneiden können, sowie aufgeschlagener Butter. Das Beispiel des dunklen Brotes greifen erstaunlicherweise nur wenige Restaurant auf, doch an hellen Varianten zum Teilen mangelt es nicht. Im Söl’ring Hof auf der Insel Sylt, mit zwei Sternen im Guide Michelin einer der Top-Betriebe in Norddeutschland, hat das im Ganzen auf den Tisch gestellte Kartoffelbrot Anklang gefunden, während im dreifach besternten Schloss Schauenstein in Fürstenau ein Leinensäckchen dafür sorgt, dass das Brot besonders zur Geltung kommt (und warm bleibt). Alle am Tisch bedienen sich, und sobald der letzte Krümel vertilgt wurde ist, wird das alte Säckli entfernt und ein neues gebracht. Auf diese Weise fühlen sich die Kunden fast automatisch wohl und wertgeschätzt – zumindest unbewusst greifen Gäste und Wirte so die Sitte von Brot und Salz auf, die schon vor Jahrhunderten bei Hochzeiten oder beim Einzug in eine neue Behausung verschenkt wurden.
Verschiedene Brote aus Ruch- und Vollkornmehl – am besten mit etwas Butter genossen. (Bild: Verein Schweizer Brot)
Auf die Spitze getrieben – der Teig wird zum Brot
Das zu teilende Brot auf den Tisch zu stellen (und zu erklären!), auf dass sich alle bedienen, ist die eine Methode. Sie kann nicht nur effektiv sein, was die Kundenbindung angeht, sondern obendrein auch noch Servicearbeit sparen. Eine andere wäre, das Brot für alle zwar am Tisch vorzuzeigen, es aber dann durch den Kellner aufzuschneiden und in die Mitte zu stellen respektive vorzulegen. So manches französische Top-Restaurant hat sich für diesen Weg entschieden. Noch dramatischer wird es, wenn nicht das fertige Brot gebracht wird, sondern zunächst die Vorstufe. Im Drei-Sterne-Restaurant St. Hubertus in Südtirol steht der Teig zum teilweisen Aufgehen (und Bewundern) auf dem Tisch, wird dann entfernt und in der Küche gebacken, schliesslich knusprig und vor Hitze noch knackend erneut serviert. Ein Höhepunkt des Essens, dessen Präsentation viele Gäste mit dem Handy filmen. In Zermatts Gourmetrestaurant After Seven konnte ich sogar erleben, wie ein kleines Brot in einer heissen Form am Tisch gebacken wurde. Die Tatsache, dass der Gast hier eine gehörige Zeit wartet, bis er in den Genuss des ersten Bissens kommt, trägt zum Eventcharakter bei. Timing ist, das erfährt man spätestens hier, ebenso wichtig wie der Geschmack des servierten Brotes, nicht weniger bedeutend als die Geschichte, die zu selbigem erzählt wird.
Sharing in der Zukunft – auch eine Frage der Hygiene
Ein weiterer Punkt, den Gastgeber beachten sollten, ist die Logik des Essens. Wenn Brot zum Teilen gedacht ist, sollte es vorgeschnitten sein. Dass mehrere Gäste an einem gemeinsamen Backwerk herumbröseln und -reissen, ist weder attraktiv noch hygienisch. In der Epoche der Gastronomie nach Corona wird auch dieser Aspekt vermehrt eine Rolle spielen. Nicht zu unterschätzen ist allerdings auch das Thema Nachhaltigkeit. Wie viele der pro Gast eingedeckten Brötchen, wie sie immer noch üblich sind, wurden bereits entsorgt, nur weil ein Teil der Gäste gar kein Brot essen wollte? Wird dagegen ein ganzes Brot unter mehreren geteilt, fällt meist weniger Food Waste an: für die Gastronomie der Zukunft ein wichtiges Argument.
Die Wertschätzung von Schweizer Brotqualität in der Gastronomie verdient Anerkennung. Im Rahmen des Best of Swiss Gastro Awards zeichnet der Verein Schweizer Brot deshalb jedes Jahr Restaurants aus, die auf Schweizer Brot setzen.