Artikel

So versorgt sich die Schweiz mit Brotgetreide

Woher kommt das Getreide in unserem Brot?

Wer Brot will, braucht Getreide. Für ein Land wie die Schweiz ist ein ausreichender Getreidevorrat deshalb ausserordentlich wichtig. Dafür hat unser Land in der Vergangenheit und in der Gegenwart einiges unternommen, von der Gründung einer Hochseeflotte bis hin zur Schaffung von Pflichtlagern, die über die ganze Schweiz verteilt sind.

Thomas Mauch

Hochseeschiffe für Getreide und Kohle

Mitten im 2. Weltkrieg ist das Frachtschiff S/S Calanda auf dem Weg nach Savona; ihre Fracht, Kohle aus den USA, ist für die Schweiz bestimmt. Das Schiff der Schweizerischen Reederei AG segelt unter der Flagge Panamas. Am Morgen des 9. Aprils 1941 fängt der Schweizer Funkoffizier der Calanda, Alfred Chevalier, einen schicksalhaften Funkspruch auf: Die Schweiz hat soeben per Notrecht die Seefahrtsflagge eingeführt. Damit wird sie zur international anerkannten Seefahrernation mit eigener Flotte unter dem Schutz ihrer neutralen Flagge. Der Kapitän, Pieter Kommer, ordnet sofort eine Zeremonie an. Die Crew tritt an, ein als Neptun verkleideter Seemann mit Krone und Dreizack zieht die Schweizer Fahne auf. «Es war mir recht feierlich zu Mute, und ich war stolz, von nun an unter den Farben der Heimat fahren zu dürfen», notiert Chevalier[1]. Die «Calanda» ist das erste Schiff, das auf See die Schweizer Flagge hisst. Mit der Gründung der eigenen Hochseeflotte wollte das Binnenland Schweiz im 2. Weltkrieg die Versorgung mit Rohstoffen wie Futter, Getreide oder Zucker sicherstellen. Wie die Erfahrungen aus dem ersten Weltkrieg zeigten, war dies ohne eigene Schiffe kaum möglich.

Die S/S Calanda im Hafen von Lissabon, 17. November 1941 (Bild: swiss-ships.ch)

Brot-Not während des 1. Weltkrieges

Um 1900 importierte die Schweiz rund 80 Prozent[2] des benötigten Brotgetreides. Das Aufkommen moderner Verkehrsmittel wie der Schifffahrt und der Eisenbahn machte die Einfuhr von günstigem Auslandsgetreide möglich. Damit konnte eine preisgünstige Versorgung der Schweizer Bevölkerung mit Brot sichergestellt werden; gleichzeitig waren die Schweizer Bauern nicht mehr konkurrenzfähig, die inländische Getreideproduktion ging stark zurück. Zu Beginn des 1. Weltkrieges hatte die Schweiz gerade mal 30’000 Tonnen Brotgetreide[3] an Lager. Damit liess sich nicht einmal ein Monatsbedarf abdecken.

Der Bund greift in den Markt ein

Es kam zu Versorgungsengpässen, auch weil die Einfuhr von Nahrungsmitteln kaum mehr möglich war. Es war sehr schwierig, ausländische Schiffe zu chartern, und wenn dies doch gelang, war nicht garantiert, dass die Ware bis in die Schweiz gelangte. 1917 griff der Bund deshalb in den Markt ein: Er verordnete den Zwangsanbau, führte eine Preisgarantie und eine Übernahmepflicht des Bundes für Getreide ein. Nach Ende des Weltkrieges behielt der Bund diese Massnahmen in der Getreideordnung von 1929 bei; allerdings konnte er nicht verhindern, dass der Getreideanbau wieder stark zurück ging. Um 1930 stammten bloss etwa 25 Prozent[4] des Getreides aus inländischer Produktion: Vor dem zweiten Weltkrieg befand sich die Schweiz also wieder in einer ähnlich misslichen Situation.

Von 1940 bis 1948 waren Lebensmittel in der Schweiz rationiert, so auch das Mehl (Bild: Wikipedia, CC BY-SA 3.0)

Zwangsanbau und Frischbrotverkaufsverbot

Allerdings reagierte die Schweiz nun etwas geschickter: Die Gründung der Hochseeflotte und der schweizerischen Rheinflotte verbesserte die Möglichkeiten, Nahrungsmittel und Rohstoffe zu importieren. In der Schweiz verlief der Zwangsanbau, der so genannte Plan Wahlen, auch deutlich erfolgreicher: Die Anbaufläche für die Nahrungsmittelproduktion wurde vergrössert, und die Schweiz konnte sich zur Hälfte selbst mit Getreide versorgen. Unter dem Plan Wahlen erging ein Verfütterungsverbot für Getreide, Mehl und Brot. Es wurde ein Einheitsbrot geschaffen mit einem Ausmahlungsgrad von 90 Prozent. Dadurch konnte Brotgetreide eingespart werden, zeitweise wurde dem Brot Gersten- und Kartoffelmehl beigefügt. Der Frischbrotverkauf war verboten. Die Bäckereien durften Brot erst 48 Stunden nach dem Backen verkaufen.

Zunehmende Erträge in den Nachkriegsjahren

In den Nachkriegsjahren nahm der Selbstversorgungsgrad stetig zu. Möglich machten dies Fortschritte in der Züchtung, der Bodenbearbeitung und Ernte, aber auch die Konzentration auf ertragsstärkere Getreidesorten. In den 1980er Jahren produzierte die Schweiz sogar mehr Brotgetreide als sie selber verbrauchte[5]. Nach einem Höchststand in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nahm die Getreideanbaufläche wieder konstant ab[6]. Das hing mit den effizienteren Anbautechniken zusammen, aber auch mit einer wichtigen Gesetzesänderung: Ab der Ernte im Jahr 2000 nahm der Bund nicht mehr eine garantierte Menge Brotmenge zu einem fixen Preis ab – der Bund zog sich aus dem Getreidehandel zurück. An die Stelle dieser sogenannten Getreideverwaltung trat ein liberalisierter Brotgetreidemarkt,  mit welchem ein starker Preisrückgang verbunden war.

Mähdrescher bei der Dinkelernte in der Ostschweiz (Bild: Thomas Mauch)

Heute zum grössten Teil selbstversorgt

Gemäss der Branchenorganisation swiss granum deckt die Schweiz aktuell rund 90 Prozent des Bedarfs an Brotgetreide (Brotweizen, Dinkel, Roggen, Emmer) selber. 2019 lag die gesamte Schweizer Getreideproduktion bei rund 930’000 Tonnen, wovon 427’000 Tonnen Brotgetreide, 24‘000 Tonnen Saatgut und 479’000 Futtergetreide. Auf knapp 141’000 Hektaren wurde Brot- und Futtergetreide angebaut, das entspricht der Fläche des Kantons Aargau. Mit Brotgetreide wurde pro Person rund eine Are bepflanzt, vorwiegend Weizen, Dinkel und Roggen sowie Reis, Emmer und Hirse. Nach wie vor beschafft die Schweiz aber eine beträchtliche Menge an Getreide aus dem Ausland: 2019 betrug der Getreideimport für die menschliche Ernährung rund 250’000 Tonnen. Darin enthalten sind unter anderem Brotweizen, Hartweizen, Reis oder Hafer. Zusätzlich importiert die Schweiz auch grosse Mengen an Fertigprodukten auf der Grundlage von Getreide, Mehl oder Stärke – etwa Teigwaren oder Backwaren. Die detaillierten Zahlen finden sich in dieser Aufstellung von swiss granum (pdf-Datei).

Im Kornhaus in Zürich lagert die Swissmill bis zu 35‘000 Tonnen Getreide. (Bild: Thomas Mauch)

Pflichtlager decken Bedarf von vier Monaten

Was aber geschieht, wenn die Versorgung mit Nahrungsmitteln knapp wird – ausgelöst durch einen Krieg, eine Naturkatastrophe oder eine Epidemie? Für diesen Fall verfügt die Schweiz über so genannte Pflichtlager. Erstmals wurde nach dem 1. Weltkrieg ein Vorrat an Brotgetreide errichtet, und dieses System wurde seither stetig ausgebaut. Private Unternehmen, die die entsprechenden Güter importieren, sind vom Bund verpflichtet, Pflichtlager zu halten. Im Bereich Nahrungs- und Futtermittel sind das rund 120 Unternehmen, darunter grosse Detailhändler wie Coop oder Migros, aber auch kleinere Händler oder Mühlen. Die Genossenschaft réservesuisse kümmert sich im Auftrag des Bundes um die Organisation der Pflichtlager für Getreide, Nahrungs- und Futtermittel. Aktuell beträgt die Lagermenge für Weichweizen 160’000 Tonnen, für Hartweizen 23’000 Tonnen und für Reis 16’400 Tonnen[7]. Damit kann der Bedarf an diesen drei Nahrungsmittelgruppen für vier Monate gedeckt werden. Zusätzlich halten die Händler freie Betriebsvorräte, die gemäss réservesuisse-Geschäftsleiter Hans Häfliger ähnlich gross sind wie die Pflichtlager[8].

Kluger Rat – Notvorrat

Die Versorgung mit Getreide ist in der Schweiz über die inländische Produktion, die Importe sowie die Pflichtlager sichergestellt. Dennoch kann es z.B. wegen blockierter Strassen auch heute zu Versorgungsunterbrüchen kommen, welche zwar nicht Monate, aber doch mehrere Tage andauern könnten. Deshalb wird vom Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung empfohlen, einen Vorrat für rund eine Woche zu halten. Die Broschüre „Kluger Rat – Notvorrat“ (pdf-Datei) erklärt, was in den Vorrat gehört. Neben Wasser zählen auch Lebensmittel wie Reis oder Teigwaren für rund eine Woche dazu.


[1] Helmut Stalder, «Die Schweizer Flotte gerät in Schieflage», Neue Zürcher Zeitung vom 02.04.2017, https://www.nzz.ch/schweiz/hochseeflotte-die-schweizer-flotte-geraet-in-schieflage-ld.154933

[2] Schweizerische Brotinformation, Bern, «Lehrer/innen-Handbuch Kapitel 2 Versorgung», 1999

[3] Schweizerische Brotinformation, Bern, «Lehrer/innen-Handbuch Kapitel 2 Versorgung», 1999

[4] Historisches Lexikon der Schweiz, «Getreidebau», https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013936/2006-12-11/#H19.und20.Jahrhundert

[5] Historisches Lexikon der Schweiz, «Getreidebau», https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013936/2006-12-11/#H19.und20.Jahrhundert

[6] BSF Aktuell «Die Getreideproduktion in der Schweiz», 2017

[7] Website von Réservesuisse, https://www.reservesuisse.ch/pflichtlager/

[8] Natalie Gratwohl, Nicole Rütti, «Gut gefüllte Pflichtlager statt Autarkie», in Neue Zürcher Zeitung vom 14.05.2020 https://www.nzz.ch/wirtschaft/pflichtlager-statt-autarkie-lebensmittelversorgung-in-der-krise-ld.1552592