Das Weizenjahr – Teil 1
Vom Korn zum Brot: Familie Grunder aus Oberneunforn TG weiss, was das heisst. Sie betreibt nicht nur die Mühle Entenschiess, sondern baut den Weizen auch gleich noch selbst an.
Unsere Beitragsserie zum Weizenjahr:
Teil 1 — Zu Besuch bei Familie Grunder
Teil 2 — Aussaat von Winterweizen
Teil 3 — Kälteschock
Teil 4 — Hege & Pflege
Teil 5 — Die Ernte
Teil 6 — Vermahlen
«Eine Entenfamilie gehört nun auch noch zu uns» erzählt Maja Grunder lachend, während sie durch ihren Betrieb in Oberneunforn (TG) führt und erklärt, was sich wo befindet. Die Mühle Entenschiess, nach dem Weiler des Hofs benannt, macht ihrem Namen also alle Ehre. «Wir haben die vernässte Wiese zwischen Waldrand und Ackerland bewusst in einen Naturteich umfunktioniert – mit der Idee, dass er zu einem Zuhause für Kleintiere wie Frösche und Molche wird. Offenbar fühlen sich aber auch Enten sehr wohl hier», ergänzt die Bäuerin verschmitzt. Kein Wunder. Es ist eine Herzlichkeit sondergleichen, die einem beim Besuch der Mühle Entenschiess entgegenströmt. Seit bald 100 Jahren befindet sich der Betrieb nun schon im Besitz der Familie Grunder und wird bereits in der vierten Generation von Maja und Bruno geführt. Unter anderem wächst auf sechs bis sieben Hektaren Land Winterweizen. Daneben halten sie 20 Milchkühe im Laufstall, die während der Vegetationszeit täglich auf die Weide dürfen. «Wir sind stark mit der Natur und der Region verwurzelt», sagt Maja Grunder, die auf einem Bauernhof der Nachbargemeinde Ossingen (ZH) aufgewachsen ist. Diesen hat sie bereits mit 21 Jahren übernommen. Als sie ihren Mann Bruno kennenlernte, haben sie die zwei elterlichen Betriebe zusammengeführt. Dann seien die Kinder gekommen, so Maja Grunder. «Irgendwann haben wir dann auch die Mühle übernommen», sagt sie und zeigt auf den Gebäudekomplex, der Wohnhaus und Mühle vereint.
Tradition und Handwerk
Erstmals erwähnt worden ist die Mühle 1379. Damals gab es ein Wasserrad, das längst verschwunden ist. Der Bach ist eingedohlt worden, die Mühle läuft seit Jahrzehnten elektrisch. Unterdessen produziert eine Photovoltaik-Anlage einen Teil des Stroms. «Willkommen», ruft es von drinnen hinaus. Sabrina Grunder, die ältere Tochter der Grunders, erscheint im Türrahmen. «Ich zeige euch gerne die Mühle.» Die Fachfrau der neuen Müllergeneration – schon ihr Grossvater und Vater haben das Müllerhandwerk gelernt – erklärt den Mahlprozess von A bis Z. Von der Einlagerung des Getreides über die Reinigung, die Befeuchtung und die verschiedenen Mahldurchgänge und die Mischarbeiten. Sie muss laut reden, die Maschinen rattern, über vier Stockwerke hinweg laufen die Prozesse rauf und runter. «Viele der Maschinen stammen noch aus der Nachkriegszeit» erklärt die 26-Jährige. «Von den Abläufen her funktioniert unsere Mühle genau wie die modernen auch, einfach mehr mechanisch und nicht nur via Computer.» Das habe den Vorteil, dass vieles selbst repariert und gewartet werden kann. Für Sabrina Grunder, Müllermeisterin und diplomierte Müllerei-Technikerin, kein Problem. Im Gegenteil: «Ich mag die Arbeit an den Maschinen, das Revidieren, Einstellen und Flicken.» Nur das viele Putzen müsste nicht sein. Aber das gehöre eben dazu und falle in einer grossen, modernen Industriemühle ja auch an. Der Rundgang macht deutlich: Sabrina Grunder ist überzeugte Müllerin, obwohl sie zuerst eine kaufmännische Lehre absolviert hatte. «Ich merkte erst mit der Zeit, dass ich nicht den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen kann.» Bei ihrer Schwester Daria sei es genau umgekehrt – sie sei im Büro viel glücklicher. Und das – nämlich die Freude an der Arbeit – sei schliesslich die Hauptsache.
Vielfalt aus der Region
Rund 350 Tonnen Brotgetreide, vor allem Weizen, aber auch Dinkel und Roggen sowie verschiedene Urgetreide haben Grunders letztes Jahr in ihrer Mühle vermahlen. Etwa 15 Prozent stammt aus eigener Ernte ihres Winterweizens, den übrigen Anteil beziehen die Grunders von umliegenden Getreidezentralen und – v.a. Spezial- und Biogetreide – direkt von den Landwirten. «Wir wollen einheimisches Korn», sagt Sabrina Grunder bestimmt. «Deshalb beziehen wir alles aus der Region, die Transportwege sind kurz.» Für den laufenden Betrieb sei ein Vorrat von ca. vier Monaten eingelagert. Die Mehle aus ihrer Mühle sind im eigenen Hofladen und in diversen Volg-Läden der Region zu finden – beliefert werden aber auch Pizzerien und Bäckereien wie beispielweise die Bäckerei Ammann in Stammheim. «Unsere Kundschaft sind Privathaushalte und Bäuerinnen, die für das eigene Hoflädeli backen», so die Müllerin. «Vor allem das Zopfmehl ist äusserst beliebt und darf nie ausgehen.» Aber auch sonst werde das Angebot mit rund 30 Sorten rege nachgefragt. In Reih und Glied stehen die einfachen braunen Säcke im Regal. Während das Mehl früher nur in 50-Kilo-Säcken verkauft wurde, sind es heute vor allem Ein- und Fünf Kilo-Säcke. Ein grosser Wertewandel ist während der Pandemiezeit erfolgt. Das Backen ist neu entdeckt worden, und die Nachfrage nach verschiedenen Mehlen unvermindert gross geblieben. «Von der Nachfrage her könnten wir noch mehr Getreide vermahlen», so Sabrina Grunder. «Aber dazu fehlen uns die zeitlichen wie auch personellen Ressourcen und die Lagerkapazitäten.»
Das grosse Ganze im Blick
Auf dem Betrieb arbeiten 7 Personen, davon sind 4 Teilzeit-Angestellte, die ein Pensum von 20 bis 60 % abdecken, sowie das Ehepaar selbst und Tochter Sabrina. Die tägliche Aufgabenverteilung? «Das passiert jeweils beim Frühstück», sagt Bruno Grunder, der sich in der Zwischenzeit dazugesellt hat. Am Tisch werde Aktuelles besprochen und die Aufgaben verteilt. Bruno Grunder betont: «So sind wir flexibel.» Als grosse Herausforderung im Organisationsmanagement des Landwirtschaftsbetriebes sieht er vor allem das Wetter, das Tierwohl und die Tiergesundheit. «Diese Bereiche können nicht auf Knopfdruck funktionieren und sorgen immer wieder für Überraschungen im Alltag. Und oft ist zum Beispiel nach einem Telefonat eines Kunden mit einer kurzfristigen Bestellung alles wieder anders.» Und dann komme ja noch das politische Engagement von Maja dazu; seit 2022 präsidiert Maja Grunder den Verband Thurgauer Landwirtschaft (VTL). «Oft sind Improvisation und kurzfristiges Umdenken gefragt», so Maja Grunder. «Doch seit Sabrina wieder zu Hause mitarbeitet und mich bei vielen Aktivitäten entlastet, funktioniert beides parallel ganz gut.» Zudem sei es eine gute Vorbereitung für die Zukunft, da Sabrina den Hof irgendwann übernehmen und weiterführen werde. Dass sie sich das zutraut, hat sicher auch mit ihrem Freund zu tun, dessen Eltern im Nachbardorf einen Landwirtschaftsbetrieb betreiben. «Unser Ziel ist es, die elterlichen Betriebe irgendwann zu kombinieren» sagt Sabrina Grunder. Trotz Hochzeit im April 2024 bestehe dazu aber keine Eile, denn bis zur Pensionierung ihrer Eltern dauere es noch eine Weile.
Nächster Besuch: Aussaat Winterweizen
Nach der Ernte ist vor der Ernte. Entsprechend gilt es auch für Familie Grunder, im Herbst die Aussaat des Winterweizens für das nächste Jahr vorzubereiten und durchzuführen. Teil 2 unserer Beitragsserie widmet sich also dem Start des Weizenjahres, d.h. der Aussaat. Dabei erfahren wir u.a. auch, nach welchen Kriterien die Getreidesorten ausgewählt werden. Dass Bruno und Sabrina Grunder hier nicht überall gleicher Meinung sind, liegt in der Natur der Sache – und zeigt, wo sie bzw. ihr Berufsstand Prioritäten setzen. Die Reportage zur Aussaat des Winterweizens – mit Pflügen, Eggen, und Saatgut ausbringen – hier nachzulesen.