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Sauerteig: ein (fast) vergessenes Kulturgut

Sauerteig verleiht dem Brot einen unverwechselbaren Geschmack und je nach Art des Sauerteigs können die Ergebnisse stark variieren.

Marlies Keck

Mit Einführung der Bäckerhefe vor rund 150 Jahren begann auch hierzulande das Vergessen, wie Sauerteig hergestellt wird. Nicht so bei zwei Vorzeigebeispielen aus der Schweiz: dem Roggensauerteig von der Bäckerei Arnold aus Simplon Dorf und dem Weizensauerteig der Richemont Fachschule.

Sauerteig – ein natürliches Triebmittel für Brot, dessen Spuren bis in die Jungsteinzeit um 4000 v. Chr. zurückverfolgt werden können. Ein typischer Sauerteig ist eine Mischung aus Mehl und Wasser, die durch Mikroorganismen und wilde Hefen fermentiert, die von Natur aus im Mehl und in der Luft enthalten sind. Diese Mikroorganismen sind auch in anderen Rohstoffen wie Apfelsaft oder Joghurt vorhanden, die manchmal von Bäckern verwendet werden, um ihrem Sauerteig eine besondere aromatische Note zu verleihen. Dies ist auch beim Weizensauerteig der Richemont Fachschule der Fall. Er stammt aus einer Spontangärung, angesetzt im Jahre 2005 mit Apfelsaft und Ruchmehl, und zeichnet sich durch seine gute Triebkraft und milde Säurenoten aus. Andreas Dossenbach, Leiter QS Labor Richemont: «Unser Sauerteig gibt den Gebäcken nicht nur eine schöne milde Säure, sondern auch ein eine fruchtige, getreideartige Aromanote.»

Tradition bewahren

In der Bäckerei Arnold in Simplon Dorf wird seit fünf Generationen das ursprüngliche Sauerteig-Roggenbrot hergestellt. Das traditionelle Rezept sieht denn auch ausschliesslich Roggenmehl, Wasser und Salz vor. Diese Zutaten werden mit dem «Chef», wie der Teig vom Vortag bei Arnolds genannt wird, zu einem festen Teig vermischt. Heutiger Geschäftsführer Amadeo Arnold: «Der Teig ruht 18 bis 20 Stunden, bevor er verarbeitet und ohne Stockgare gebacken wird. Natürlich wird dann wieder ein Stück des Teiges aufbewahrt, um als «Chef» für den nächsten Teig zu dienen.»

Diese Methode wird nun seit über 125 Jahren angewandt. Das Roggenbrot ist sehr kompakt mit runder Form. Die Kruste ist dunkelbraun, dick und knusprig, die Krume hingegen ist feucht und hat einen kräftigen, säuerlichen Geschmack. Der «Chef» verleiht dem Brot diese intensive Säure und dazu eine rauchige, honig-champignonartige Aromanote. Nie wurde dafür ein neuer Sauerteig angesetzt. Und dies wird auch mit Sicherheit so bleiben. Denn beide Sauerteige – der Roggensauerteig der Bäckerei Arnold, wie auch der Weizensauerteig der Richemont Fachschule – wurden in die weltweit einzigartige Sauerteig-Sammlung im «Puratos Center for Bread Flavour» in St. Vith (Belgien) aufgenommen. Dort werden sie analysiert, für die Zukunft dokumentiert, unter idealen Bedingungen gelagert und laufend aufgefrischt. Bis jetzt konnten 87 Sauerteige in die «Bibliothek» aufgenommen werden und so mehr als 700 verschiedene Arten von Hefe und ca. 1500 verschiedene Milchsäurebakterien identifiziert werden.

Benedikt Scheideck, Puratos Schweiz: «Unser Ziel ist, die Artenvielfalt von Sauerteig zu erhalten und das Wissen über das Backen mit Sauerteig zu bewahren. Denn Sauerteig ist die ‚Seele der Bäckerei‘.» Ob «Seele» oder «Chef»: Der Fortbestand beider Sauerteige ist dank dieser Bibliothek gesichert. Die Bäckerei Arnold wie auch die Fachschule Richemont können im Notfall auf ihren ursprünglichen Sauerteig zurückgreifen und so ihre ureigene Tradition aufrechterhalten.

Externes Bild
Apéro-Tipp: Sauerteigbrot, Tête de Moine & Perdrix Blanche

Rassiger, aber ausgleichender Weisswein und zu Rosetten geschabter würziger Käse aus dem Jurabogen verbinden sich mit belebendem Sauerteigbrot zu einer überraschenden, aber gefälligen, runden und harmonischen Kombination. En Guete!

Rezept