Sauerteig - gross im Kommen
Zur Brotzubereitung gibt es verschiedene Rezepturen, die teilweise seit Jahrhunderten unverändert sind. Eines ist allen Rezepten gleich – damit sie gelingen, brauchen sie ein Triebmittel.
Die Rückkehr des Sauerteigs
Neben Mehl, Salz und Wasser oder einer anderen Flüssigkeit braucht es, damit ein Brot gelingen kann, unbedingt ein Triebmittel. Während in den letzten Jahrzehnten der Sauerteig zugunsten der weniger arbeitsaufwändigen Backhefe immer mehr in den Hintergrund gedrängt wurde, erlebt er derzeit eine Renaissance.
Anstellgut für Sauerteig. © Richemont
Die Sauerteigpflege ist aufwändig und anspruchsvoll (siehe unten). Das Wissen um seine Zubereitung geriet daher mit Einführung der Bäckerhefe beinahe in Vergessenheit und gleichzeitig nahmen seine Bedeutung sowie Verwendung zunehmend ab. Speziell seit den 1950er-Jahren wurden Methoden zur preiswerten und effizienten Brotbereitung entwickelt. Dennoch gilt der Sauerteig in der Schweiz als Kulturgut und erlebt dieser Tage eine wahre Renaissance. Die geschmacklichen und ernährungsphysiologischen Eigenschaften von sauerteiggeführten Backwaren gewinnen in der modernen, gesundheitsbewussten Ernährung wieder an Bedeutung – mehr und mehr Bäcker besinnen sich auf das traditionelle Triebmittel zurück.
Sauerteig – die Seele der Bäckerei
Sauerteig oder auch Backhefe als Triebmittel sind also unerlässlich, wenn ein Brot gelingen soll. Sie werden gebraucht, um den Teig “gehen” zu lassen, in anderen Worten, ihn zu lockern, was wiederum unverzichtbar ist, wenn das Brot bekömmlich sein soll: Wenn ein Teig nicht oder zu kurz gärt (1 bis 2 Stunden), kann er die enthaltene Phytinsäure nicht abbauen und hemmt die Aufnahme von Mineralstoffen im Stoffwechsel. Er kann nicht aufgehen und ist wenig bis gar nicht bekömmlich.
Da das Anstellgut des Sauerteigs (siehe unten Sauerteigzubereitung) durch die Wahl der Flüssigkeit beeinflusst wird, gleicht kein Sauerteig dem anderen – denn auch Wasserqualität und Härtegrad, die sich von Quelle zu Quelle und Brunnen zu Brunnen unterscheiden, nehmen Einfluss auf die Mikroflora. Der Sauerteig ist also nicht ohne Grund der ganze Stolz eines Bäckers und das Herz einer Bäckerei.
In einem Kurs, der auch für Quereinsteiger offen ist, geben Experten der Richemont Fachschule Anleitung zum Ansetzen von Sauerteig.
Bäcker bei der Arbeit. © Victor Rodriguez Iglesias
Sauerteig – aromatisch und gesund
Die Rückkehr des Sauerteigs hat nicht zuletzt mit der Rückbesinnung auf regionale Produkte und gesunde Ernährung zu tun, denn: Sauerteig besteht aus Milchsäurebakterien und Hefepilzen, die für die Gärung sorgen. Das daraus entstehende Kohlenstoffdioxid lockert den Teig nicht nur auf, sondern verbessert auch das Aroma, den Geschmack und die Haltbarkeit des Brotes.
Lange geführter Sauerteig macht das Brot aber auch bekömmlicher. Je länger ein Teig geführt wird, desto mehr Stärke kann durch die natürlich vorhandenen Enzyme abgebaut werden. Stärke wiederum ist im Teig für die Wasserbindung verantwortlich. Je mehr Stärke also vorhanden ist, desto mehr Wasser wird gebunden. Die Folge: Das Brot wird trocken und bröselig, schmeckt nicht und ist weniger gut bekömmlich.
Knuspriges Sauerteigbrot. © Jonathan Pielmayer
Eine besondere Bedeutung hat Sauerteig bei der Verwendung von Roggenmehl. Anders als Weizenmehl, bei dem auch reine Backhefe als Triebmittel verwendet werden kann, erfordert Roggen die Zuführung von Säure, damit das Brot nicht flach bleibt. Die Milchsäurebakterien des Sauerteigs produzieren diese in Form von Milchsäure und Essigsäure. Die Milchsäurebakterien verstärken die Aromen und machen das Gebäck elastisch.
Die Verwendung von Sauerteig ist übrigens auch geografisch unterschiedlich. Während für mit Sauerteig gebackenes Schweizer Brot Roggen- oder Weizenmehl verwendet wird, verwenden die deutschen und österreichischen Bäcker fast ausschliesslich Roggenmehl. Je weiter südlich man kommt, desto weniger wächst Roggen. Roggenmehl wird dann durch das hellere Weizenmehl ersetzt und so wird beispielsweise das klassische französische Baguette traditionell mit Weizensauerteig gebacken.
Bon appétit – das klassische französische Baguette wird mit Weizensauerteig gebacken. © Pixabay
Sauerteigzubereitung
Sauerteig ist ein mit aktiven oder reaktivierbaren Mikroorganismen (insbesondere Milchsäurebakterien und Hefen) zubereitetes Triebmittel, das nach Zugabe von Getreideerzeugnissen und Wasser fortlaufend Säuren bildet. Daraus entwickeln sich milchsäurebildende (homofermentative) und essigsäurebildende (heterofermentative) Milchsäurebakterien sowie Hefen. Die heterofermentativen Bakterien erzeugen geringe Mengen Kohlenstoffdioxid, das gemeinsam mit dem Kohlenstoffdioxid der alkoholischen Hefegärung Gärgas bildet und für den Trieb sorgt, ohne den ein Brot nicht gelingen kann. Alternativ zum Sauerteig kann Hefe als Triebmittel verwendet werden. Die Gewinnung eines triebfähigen Sauerteig-Anstellguts dauert mindestens eine Woche – je länger der Sauerteig geführt wird, desto schmackhafter und bekömmlicher wird das damit gebackene Brot. Der Begriff “Sauerteigführung” beschreibt dabei Zeit, Temperatur und Zutatenverhältnisse bei der Herstellung des Teigs. Das Anstellgut ist ein Rest Sauerteig, der zur späteren Verwendung aufbewahrt wird. Anstellgut kann entweder immer vom jeweils für den Backtag angesetzten Sauerteig abgenommen oder separat geführt und aufgefrischt werden. Das Anstellgut sollte spätestens alle sieben bis zehn Tage mit gleichen Teilen Mehl und Wasser vermengt und so aufgefrischt werden.
Ein einmal angestellter Sauerteig kann als Grundsauer unendlich weiterverwendet werden. Dafür muss er nur regelmässig – alle ein bis zwei Wochen – mit Mehl und Flüssigkeit „gefüttert“ werden. Als Flüssigkeit wird in der Regel Wasser verwendet, da die Grundflora bereits besteht.
Sauerteigführung
Phytinsäure ist ein Stoff, der sich im Getreide vor allem in den Randschichten und im Keimling befindet und mit Mineralien eine nur schwer lösliche Verbindung eingeht. Das erschwert oder blockiert die Aufnahme von wichtigen Mineralien wie Kalzium, Magnesium, Zink und Eisen im menschlichen Körper. Tatsächlich liefert die Natur aber gleich ein Enzym namens Phytase mit, das die Phytinsäure daran hindert, wertvolle Mineralien an sich zu binden. Dieses Enzym sitzt genau da, wo auch die meiste Phytinsäure anzutreffen ist: im Keim und in der Kleie.
Phytase wird nur durch lange Sauerteigführung und durch Einweichen beim Frischkornbrei aktiviert. Auch natürliches Vitamin C in frischem Obst (Äpfel, Beeren, Zitrusfrüchte) hat die Fähigkeit, die Phytinsäure zu deaktivieren und den Grundstein für ein geniessbares und bekömmliches Endprodukt zu legen.
© Headerbild Nathan Dumlao